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Kultur: Der angepasste Held

Kurz vor seinem 85. Geburtstag wird der Berliner Schriftsteller Rudolf Lorenzen wiederentdeckt

Im Blick zurück auf ein solch 85-jähriges Leben mag man dazu neigen, ihm Folgerichtigkeit zu unterstellen. So, als habe es gar nicht anders gekonnt, dieses Leben, als sich genau so zu entwickeln. Aus der Nähe betrachtet kann so ein Leben aber auch eine ziemlich unwahrscheinliche Angelegenheit sein.

Der Schriftsteller Rudolf Lorenzen feiert am Montag seinen 85. Geburtstag. Und wenn man ihm in der verwinkelten Westberliner Altbauwohnung gegenüber sitzt, die er seit fast 40 Jahren bewohnt, und ihm dabei zuhört, wie er aus seinem Leben erzählt, kommen einem die Dinge gerade in ihrer scheinbaren Zwangsläufigkeit mit der Zeit umso wahnwitziger vor. Dass er, der ehemalige Hitlerjunge, Schiffsmaklerlehrling, Tangojüngling, Wehrmachtssoldat, Kriegsgefangene und Werbeberater Schriftsteller geworden ist – das ist dann erstaunlich, wenn man einige von den Geschichten erzählt bekommt, die sich hinter den bloßen Gruppenzugehörigkeits- oder Berufsbezeichnungen verbergen.

Zum Beispiel die von der Wehrmacht, bei der Lorenzen feststellen musste, dass ausgerechnet die vielbeschworene Kameradschaft der Soldaten untereinander überhaupt nicht existierte. Heute sagt er, es sei in Russland noch nicht einmal darum gegangen, wie jeder Einzelne für sich, sondern sogar darum, wie jeder gegen die anderen überleben konnte. Das ist eine Schlüsselerfahrung für Lorenzen geworden, die auch sein Leben als Schriftsteller geprägt hat. Bei der Wehrmacht habe er gelernt, sich nur auf sich selbst zu verlassen – und Lorenzens Frau erzählt, die Abneigung gegen Gruppenbildungen sei ihrem Mann in Fleisch und Blut übergegangen. Wann immer in früheren Jahren die Rede darauf kam, dass man ja einmal an einer Gesellschaftsreise teilnehmen könnte, habe er das abgelehnt: „Ich habe einmal an einer solchen Reise teilgenommen, und die endete im Lager in Sibirien.“

Diese Geschichte von Krieg und Gefangenschaft kennen die Leser aus Lorenzens erstem Roman „Alles andere als ein Held“ aus dem Jahr 1959, in dem er große Teile seiner Biographie verarbeitet hat. Held des Romans ist der Durchschnittsmensch Robert Mohwinkel. Seine Angepasstheit in allen Lebenslagen macht ihn paradoxerweise unverwechselbar. Er wird dadurch zum Einzelgänger – aber auch zum Souverän seines Schicksals. Am Ende ist der ehemals „verpimpelte“ Sextaner selbstständiger Reeder und Schiffsmakler, und nur seine Mutter glaubt nicht, dass dies ein Aufstieg ist – weil es keinen Vorgesetzten mehr gibt, der mit ihrem Sohn zufrieden sein könnte.

Wie Mohwinkel ist auch Rudolf Lorenzen ein Einzelgänger. Ein geselliger zwar, der gern erzählt und dem man sein Interesse für Menschen und ihre Geschichten anmerkt – aber eben doch einer, der sich nicht einfügen mag in feste Strukturen. Mit der Gruppe 47 hat er nie etwas anfangen können, obwohl er zu derselben Generation gehörte. Schriftsteller wie Grass, Bachmann oder Johnson und er selbst, „das waren getrennte Welten“, sagt Lorenzen. Auch wenn man sich ab und zu begegnete, und auch wenn er amüsante Anekdoten kennt etwa über Uwe Johnson, der ein Verhältnis mit seiner, Lorenzens, Sekretärin gehabt habe – verbunden gefühlt hat er sich mit keinem von ihnen.

Diese Unangepasstheit hat auch die Rezeption seiner Bücher beeinflusst. 1959, das Jahr, in dem sein Debüt erschien, war auch das Jahr der „Blechtrommel“ – und alle waren laut Lorenzen so „besoffen“ von Günter Grass, dass sein eigener Roman eher unbemerkt blieb.Jetzt, zum Geburtstag, hat Walter Kempowski Lorenzen geschrieben, dass sein eigenes Erfolgsbuch „Tadellöser und Wolff“ ohne das Vorbild von „Alles andere als ein Held“ niemals entstanden wäre – aber damals, Ende der fünfziger Jahre, war der Roman vielen Lesern zu kritisch: „Ein Jämmerling“ sei dieser Mohwinkel, so wurde Lorenzen von einem ehemaligen Lehrer beschieden, der dabei nicht bemerkte, wie sehr sein Urteil die Denkweisen bestätigte, die das Buch entlarvt.

Als er aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, gab es für Lorenzen in der Schiffsmaklerei nicht mehr viel zu tun. Die Deutschen hatten weder Schiffe noch Handelspartner, und so studierte er zuerst an der Werbefachschule, arbeitete dann ein Jahr lang in Bayern als Werbeberater und stellte schließlich fest, dass er erstens nicht in Bayern und zweitens nicht allein bleiben wollte. Er heiratete Mitte der fünfziger Jahre die Journalistin Annemarie Weber, zog zu ihr nach Berlin und fing mit dem Schreiben an. Als eine Geschichte von ihm den ersten Preis bei einem Wettbewerb gewann, begann seine Karriere als Schriftsteller und Journalist – dem Helden-Roman folgte mit „Die Beutelschneider“ rasch ein weiterer, in dem er seine Erfahrungen aus der Werbewelt verarbeitete. Zuletzt erschien 1999 „Cake Walk oder eine katalanische Reise in die Anarchie“. Und jetzt beginnt der Berliner Verbrecher Verlag eine Werkausgabe, die alle seine Bücher umfassen soll.

Er verstehe sich als „Polyhistor“, sagt Lorenzen, als jemand also, der seine kleinen Geschichten aus der einen großen Geschichte herausfiltere. So erzählt sein nächster, fünfter Roman, der im Laufe dieses Jahres erscheinen wird, die Vorgeschichte von Robert Mohwinkels Familie aus Flensburg, die wieder auch seine eigene Vorgeschichte ist. Als er die Wahl hatte, optierte Lorenzens Großvater für die Zugehörigkeit zu Deutschland und nicht zu Dänemark, und der Blick zurück beweist einmal mehr die Unwahrscheinlichkeit von Lorenzens Leben als Schriftsteller. Schließlich war es letztlich diese großväterliche Wahl, die dem Enkel die ganze Sache mit dem Krieg und dessen Folgen eingebrockt hat. Da sich aber nun einmal, wie Rudolf Lorenzen festgestellt hat, „alles niederschlägt, was man im Leben macht“, sollte man die unwahrscheinlichen und dennoch folgerichtigen Geschichten dieses Lebens weiter erzählen.

Am 5. Februar liest Rudolf Lorenzen um 20 Uhr im Buchhändlerkeller (Carmerstr. 1) aus seinem Erzählungsband „Kein Soll mehr und kein Haben“, Verbrecher Verlag, Berlin 2007, 258 S., 14€

Anne Kraume

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