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Kultur: Der Argentinier dichtet auf Sephardisch

Die Juden Spaniens und Portugals, die Sephardim, kann man in jedem Wörterbuch finden; schwieriger wird es bei dem Wort Sephardisch, welches jene alte jüdisch-spanische Sprache meint, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Es gibt freilich noch einige Dichter, die sich des Sephardischen weiterhin bedienen: die französische Romanautorin Clarisse Nidoidski etwa oder den argentinische Lyriker Juan Gelman, der sich seinerseits von Nicoidski zu einem zweisprachig verfassten Zyklus von Gedichten anregen ließ, "in einem Spanisch und in dem anderen", wie Gelman in einem kleinen Vorwort zum Buch sagt.

Die Juden Spaniens und Portugals, die Sephardim, kann man in jedem Wörterbuch finden; schwieriger wird es bei dem Wort Sephardisch, welches jene alte jüdisch-spanische Sprache meint, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Es gibt freilich noch einige Dichter, die sich des Sephardischen weiterhin bedienen: die französische Romanautorin Clarisse Nidoidski etwa oder den argentinische Lyriker Juan Gelman, der sich seinerseits von Nicoidski zu einem zweisprachig verfassten Zyklus von Gedichten anregen ließ, "in einem Spanisch und in dem anderen", wie Gelman in einem kleinen Vorwort zum Buch sagt.

Tatsächlich ist das Sephardische dem heutigen Spanisch sehr verwandt, die Wörter kommen gewissermaßen aus derselben "Werkstatt" und entstammen einem Erbe, das für den Dichter Gelman zurückreicht bis zum "Cid", dem altspanischen Heldenepos. Aber vor allem in den Wortendungen klingen sie in der alten Form doch etwas weicher, melodischer, was der Leser nun selbst nachvollziehen kann, indem er die zumeist kurzen Texte einfach laut liest.

Es ist völlig klar, dass sich Juan Gelman mit diesem Zyklus "Darunger" auf die Suche nach den Wurzeln seiner Sprache begibt, und er mutmaßt, dass "die äußerste Einsamkeit des Exils" ihn dazu gedrängt haben könnte.

Gelman, 1930 in Buenos Aires geboren, ging bereits 1975 aus politischen Gründen ins europäische Exil. Sein Sohn und dessen schwangere Frau wurden bald darauf ermordet und Gelmans Enkelkind, wie erst jetzt bekannt wurde, einem kinderlosen Kommissar und seiner Frau in Montevideo übergeben, wo es unter fremdem Namen aufwuchs. Jahrzehntelang hatte der Dichter vergeblich nach seinem Enkelkind gesucht, bis es vor kurzem endlich zu einer ersten Begegnung zwischen der mittlerweile jungen Frau und ihrem leiblichen Großvater kommen konnte: Der neue Präsident Uruguays, Jorge Battle, hatte sich für eine Aufklärung dieses und weiterer Fälle von Staatsterrorismus eingesetzt.

Eine Biografie wie sie kein Einzelfall ist für ein Land, in dem allzulange die Militärs herrschten. Zahlreiche Dichter seit Pablo Neruda haben sich, aus Patriotismus oder Verzweiflung, bis ins Innerste ihrer Sprache politisieren lassen. Manchmal ist dennoch gute Dichtung daraus entstanden, und manchmal haben sie ihre Stimme dem politischen Kampf geopfert. Es ist Juan Gelman deshalb nicht hoch genug anzurechnen, dass er unter allen Umständen ein Dichter geblieben ist.

Schweigsam wie die SonneDer Schmerz, der auch seinem 1984 im Exil entstandenen Zyklus "Dibaxu / Debajo" (so der Originaltitel) eingeschrieben ist, begegnet uns bei ihm aufs äußerste sublimiert, wenn es heißt: "Sieh nur:/ ich bin ein zerbrochenes Kind/ ich zittere in der Nacht/ die von mir fällt". Es ist in diesen Gedichten die Liebe, die einen kleinen Vorrat an Hoffnung gewährt: "ich werde meinen Schrecken in die Ferne legen/ unter die Vergangenheit/ die glüht/ schweigsam wie die Sonne".

Das mag auch Julio Cortázar gemeint haben, als er über Gelmans Poesie schrieb, dass das vielleicht Bewundernswerteste "seine schier unvorstellbare Zärtlichkeit (sei), dort, wo der äußerst heftige Ausbruch von Ablehnung und Anklage gerechtfertigt wäre, seine Invokation so vieler Schatten in einer Stimme..." Diese Stimme kann hell und dunkel zugleich sein, "ich lache vor Leid/ weine vor Freude", heißt es einmal.

Die moderne lateinamerikanische Dichtung ist nicht denkbar ohne dieses metaphorisch-aufgeladene Changieren zwischen einem glühenden Augenblick (der Liebe, des Körpers) und der Rückbesinnung auf Geschichte, die oft genug Leidenserfahrung ist. Gelman braucht dazu keine aztekischen Götter, wie sein Kollege Octavio Paz, sondern bedient sich des Elementarsten, dessen ein Dichter habhaft werden kann: der Sprache - zuerst des Sephardischen, aus dem er dann noch ins Spanische überträgt, "nicht aus Misstrauen gegenüber der Intelligenz der Leser", wie er beteuert.

Diese Bewegung von der alten Sprache zur Neuen mag ihm vorgekommen sein wie eine andere Art Reise (das Osmanische Reich, in dem die ganz frühen Vorfahren des argentinisch-spanischen Dichters lebten, heißt heute z.B. Bulgarien oder Bosnien). Dass die Sprache für Juan Gelman geradezu Weltschöpferische Qualitäten besitzt, bezeugt dieser Vers: "was du sprichst/ lässt/ einen Vogel fallen/ für den ich Nest bin/ der Vogel schweigt/ in mir/ schaut/ was er aus mir macht."Juan Gelman: Dibaxu Debajo Darunter. Edition 350 im Verlag der Kooperative Dürnau, 1999. 80 Seiten, 25 DM.

Volker Sielaff

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