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Kultur: Der Aufschneider

Er ist der Meister des Edeltrash, seine Mode feierte Orgien der neuen Prächtigkeit. 1997 wurde der italienische Designer Gianni Versace vor seiner Villa in Miami erschossen. Jetzt widmet ihm das Londoner Victoria & Albert Museum eine Retrospektive

Von Susanna Nieder

Versace. Da türmen sich goldene, barock geschwungene Schnörkel auf Leopardenprint, schwarzes Nappaleder ist über und über mit silbernen und goldenen Nieten besetzt. Es türmen sich Schwarz und Weiß, Knallbunt und Gold, Gold, Gold. Goldfarben bedruckte Seide, goldene, mit dem Logo in Gestalt eines Medusenhauptes verzierte Gürtelschnallen und Knöpfe, schwerer Goldschmuck. Und Oroton, der von Versace patentierte Stoff aus winzigen Metallplättchen, der sich glänzend an den Körper schmiegt wie flüssiges Metall.

Es ist müßig, die Mode von Gianni Versace verstehen zu wollen. Der hemmungslose Liebhaber alles Barocken, 1946 in Kalabrien geboren, 1997 aus nächster Nähe vor seiner Villa in Miami erschossen, war alles, nur kein Intellektueller. Ideen wie bei anderen stilprägenden Designern der achtziger Jahre, bei Ann Demeulemeester oder Martin Margiela, Understatement, Askese gar wie bei Yohji Yamamoto sucht man in Versaces Mode vergeblich. Bei ihm ist alles pure Sinnlichkeit, ist Überfluss, ist nie genug. Seine tonnenschwer verzierten Klamotten sind eine Gratwanderung zwischen Proll und Prinzessin; Edeltrash, der ohne Neureichtum und Promikult der Achtziger kaum denkbar wäre. „You don’t have to be rich to be my girl“, quiekt Prince durch den ersten Raum der Versace-Retrospektive im Londoner Victoria & Albert Museum. „It’s my style, cool, cool style", haucht Grace Jones. Wie stellt man es an, sich von dieser ungenierten Protzerei nicht abgestoßen zu fühlen?

Ein Blick auf die Straße hilft. Im langen Tunnel zwischen der U-Bahnstation South Kensington und dem Museum tragen Menschen Kleider, wie sie der Italiener aus Seide, mit bunten Glitzersteinen, mit Perlen und Pailletten in Prunkstücke verwandelt hat – Leggings, dieses prolligste aller Kleidungsstücke, lange Kapuzenanoraks mit Tunnelzug. Und hier verkauft jemand kleine Geldbeutel, die über und über mit Plastikperlen bestickt sind. Als Kind gewann man so etwas auf einer Tombola oder trotzte es den Eltern beim Einkaufsbummel ab. Ein solches Beutelchen aus Perlen war der größte Schatz. Vielleicht funktioniert Versace – durch Kinderaugen betrachtet.

Die Verehrung, die das Volk seinen Helden und Heldinnen entgegenbringt, hat schließlich etwas sehr Kindliches, ob der Tanz sich um eine Prinzessin dreht oder um ein Mannequin. Gianni Versace ließ seine Mode am liebsten von mehreren Supermodels gleichzeitig vorführen und engagierte dafür die besten Fotografen der Welt - Richard Avedon, Helmut Newton, Irving Penn. In der Befriedigung von Glamourbedürfnissen war er der unbestrittene Meister. Da stehen sie nun beisammen auf einem Foto von Peter Lindbergh aus dem Jahr 1991, angetan mit kurzen Faltenröcken, bestickten Lederjäckchen, Bikerstiefeln und Ledermützen aus dem schwulen Bekleidungskanon: Cindy und Tatiana, Helena, Linda, Claudia und Naomi.

Im Museum hängt auch das von - goldenen - Sicherheitsnadeln scheinbar notdürftig zusammengehaltene, in Wirklichkeit aber straff modellierte kleine Schwarze, das Liz Hurley 1994 zur Premiere von „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ trug, dem internationalen Durchbruch ihres damaligen Lebensgefährten Hugh Grant. Gleich daneben: ein schmales, zart hellblaues, mit goldenen und blauen Steinen besetztes Abendkleid, in dem Prinzessin Diana ihre schöne Büste und schlanke Taille zur Schau stellte. Und das Publikum nimmt die Schau dankbar an. „Oh, my God!“ seufzen die Betrachterinnen jeglichen Alters. Versace angucken hat etwas von Weihnachtsmarkt und Märchenspiel.

Manchmal wird er härter. Motorradjacken, Riemen und Schnallen aus der Subkultur von Sado-Maso und Bondage, superbreite Schultern für Männer; für Frauen ein Ledermantel mit Kapuze, schmaler Taille und wattiertem Rock, der an den Leib des Michelin-Männchens erinnert. Zum nietenübersäten Bikerlook das bedruckte Seidenfutter mit schwülstig-barocken Mustern, die man eigentlich auf Halstüchern matronenhafter Patrizierinnen erwarten würde – die Mischung, ob man sie schön findet oder hässlich, ist manchmal atemberaubend.

Gianni Versace suchte sich aus der Kunstgeschichte zusammen, was ihm gefiel, darin ähnelte er seiner britischen Kollegin Vivienne Westwood. Doch wo sie überhöht und satirisch zuspitzt, haut Versace aufs Blech. Kracher und Feuerwerk! Männer als Sexobjekte! Frauen sowieso! Und möglichst viel Glamour! Ein Kleid, von Versace entworfen, von Linda Evangelista getragen, bedruckt mit Andy Warhols Version der Gesichter von Marilyn Monroe und James Dean, fotografiert von Irving Penn, vereint in der Tat erstaunlich viele Promis auf einen Streich.

Der Hang zum Trash zieht sich durch das ganze Lebenswerk. Wenn elegant, dann mit Hosenträgern statt der erwarteten Spaghettiträger. Wenn Altertum, dann nicht von Rom und Griechenland inspiriert, sondern von der „B-Movie-Version“ eines griechischen Kostüms. Wenn Schmuck, dann in so schwer, dass das Genick knackt. Der typische Versace-Look ist die Umkehrung dessen, was normalerweise in der Mode passiert, nämlich die teure Kopie einer billigen Vorlage. Eine billige Kopie von Versace wäre so gesehen wieder das Original.

Doch man wird nicht warm mit dieser Mode. Das liegt unter anderem daran, dass allen Beteuerungen zum Trotz, Versace sei prädestiniert für ein kunsthistorisches Museum, Kleider auf Büsten ähnlich amputiert wirken wie ein synchronisierter Film. Ohne die eigene Stimme verlieren Schauspieler einen großen Teil ihrer Ausstrahlung. Vergleichbar reduziert sich die Wirkung von Kleidern ohne die Bewegungen eines lebendigen Körpers auf die einer Hülse. Bei der Ausstellung „Radical Fashion“ des V&A im vergangenen Jahr wurde dieses Dilemma dadurch aufgehoben, dass jeder der elf beteiligten Designer eine eigene Kunstinstallation entwarf. Helmut Lang beschränkte sich auf huschende Videoschatten an rot-silbernen Wänden, die Mode von Junya Watanabe und Hussein Chalayan wirkt auch in statischem Zustand bewegt, Alexander McQueen machte aus dem Video einer Modenschau eine Installation, die den Zuschauer erschreckte, indem er sich selbst darin gespiegelt sah. Der Gesamteffekt war ein überraschender Eindruck von Bewegung, Wärme und Lebendigkeit. Im Vergleich dazu wirkt die Versace-Retro mit ihrer kalten Pracht, ihren fantasielosen Texten, mit den brav aufgereihten Büsten und spärlich gesäten Bildern leblos und fade.

Erst kurz vor Schluss springt ein Funke über. Erstens bekommt man die Kleider wenigstens auf Video vorgeführt und ahnt etwas von der Wirkung, die sie im Zusammenspiel mit Körper und Ausstrahlung eines Menschen entfalten können. Zweitens hängt dort das wahnwitzige Top, das auf Vorder- und Rückenteil ein ganz aus Glitzersteinen zusammengesetztes Madonnengesicht trägt und am Hals ein dickes Kreuz. Ein Kirchenfenster als Kleidungsstück! Das ist ein solcher Stilbruch und geht einher mit einem so prachtvollen Funkeln, dass es wieder aufgeht, das Kinderauge. Und dann kommt der Raum mit den Theaterkostümen.

Zunächst hört man die Musik. Natürlich Prokofjev, „Romeo und Julia“, die Montagues und die Capulets! Es wird nicht hell in diesem Raum; wie Ali Baba in der Räuberhöhle bekommt man mal diese, mal jene glitzernde Herrlichkeit zu sehen. Einzeln oder in Gruppen werden sie beleuchtet, die Tutus und die Reifröcke, die Pumphosen und die dramatischen Roben, das ausladende, vielfarbige russische Kostüm und das schmale Zwanziger-Jahre-Hängerchen, das juwelenbesetzte Kleid für Kiri Te Kanawa und das hautenge, rot und schwarz bedruckte Teufelskostüm mit Krallen und aufgemaltem Gesicht aus „Souvenir de Leningrad“ (Lausanne, 1987). Hier gehört es hin, das Melodramatische. Die Frage nach dem tieferen Sinn und dem guten Geschmack erübrigt sich. Hier war Gianni Versace in seinem Element.

Der letzte Raum ist ein müder Abgesang; Videos von Modenschauen, von Versace entwickelte Stoffe zum Anfassen (ein langes Oroton-Kleid muss Zentner schwer sein), einige Modelle von Schwester Donatella Versace, an denen der Blick abgleitet. Gianni war das kreative Genie der Familie, Bruder Santo schon zu Giannis Lebzeiten der Geschäftsführer, Donatella die Muse und Co-Designerin. Seit Versaces Tod führen seine Geschwister die Firma mit überraschendem Erfolg weiter. Womöglich ist die Ausstellung deshalb so vergleichsweise konventionell und wenig inspiriert geraten, weil das Haus Versace das Andenken seiner Ikone konservieren will. Die Pracht ist erstarrt. Der Blick der Medusa bleibt auf die achtziger Jahre gerichtet.

Versace at the Victoria & Albert, bis 12. Januar. Katalog: 24,95 Pfund. Informationen unter www.vam.ac.uk

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