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Kultur: Der Bahnsteig nebenan

„Der weiße Zug“ erzählt vom Drama der Müllsammler in Buenos Aires

„Das ist eine Arbeit, die man mit erhobenem Haupt tun sollte“, sagt eine junge Frau in zerschlissener Kleidung. Sie steht neben großen, schwarzen Müllsäcken, einen Karren an der Hand. „Ich bin immer anständig angezogen, obwohl ich Papiersammlerin bin. Deshalb schäme ich mich auch nicht.“ Kein gesenkter Blick. Ihre dunklen Augen sind starr auf einen Punkt gerichtet, wollen von etwas überzeugen. Wollen vielleicht vor allem sich selbst überzeugen, um nicht aufzugeben im Kampf gegen die Armut.

Die Frau ist eine der Protagonisten des argentischen Dokumentarfilms „El tren blanco – Der weiße Zug“. So wird der tägliche Sonderzug für die „cartoneros“ in Buenos Aires genannt, die mit dem Verkauf von Altpapier ihren Lebensunterhalt verdienen. Jeden Abend um 18 Uhr bringt der Zug die Papiersammler aus den Armenvierteln ins Zentrum der Stadt. Kurz vor Mitternacht holt er sie wieder ab. Dann türmen sich auf den Karren, die die Menschen bei sich haben, riesige Abfallsäcke. Da wechseln schon mal Männer mit Aktenkoffern den Bahnsteig, wenn die Durchsage kommt: „Der Zug auf Gleis 2 fährt nicht die übliche Route. Bitte nicht einsteigen.“

Die Regisseure Nahuel García, Sheila Pérez Gímenez und Ramiro García haben die Papiersammlern von Buenos Aires monatelang begleitet und Gespräche mit ihnen aufgezeichnet. Sie zeigen Männer, Frauen, Kinder aller Altersstufen, wie sie die schweren Karren durch die Straßen schieben, im Abfall wühlen, alte Zeitungen, Kartons, Sperrmüll zum Wiederverkauf einsammeln. Und nach Dingen suchen, die sie selbst brauchen können: Kleidung, Spielzeug, Essen.

Achtzig Minuten lang stereotype Bewegungen, sich wiederholende Handgriffe: sich bücken, Mülltüten aufreißen, Wagen beladen, weiterziehen. Alles normal, entsetzlich normal.

Ohne zu kommentieren, fast ohne eingespielte Musik, und mit geringem technischen Aufwand schildert der Film das Leben der Ärmsten der Armen in Buenos Aires. Sie kämpfen einen hoffnungslosen Kampf, klaglos. „Die Armut ist so, als hätten wir alle einen Strick um den Hals, “ sagt einer der Männer. Doch immer wieder von neuem richten sich die Menschen auf, und in ihren Augen blitzt trotziger Stolz. „Der weiße Zug“ ist die Großaufnahme einer Welt am Rande, von Menschen, die erst scheu und dann doch selbstbewusst von sich berichten, von der letzten Station namens Gleis 2.

Central (OmU)

Katharina Wagner

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