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Kultur: Der Balanceakt

Flick-Debatte im Hamburger Bahnhof über Macht, Moral und die Sammler

Das letzte Wort hatte – natürlich – ein Museumsmann. Christoph Becker, Direktor des Zürcher Kunsthauses, sprach es, ganz frei von jedem Hintergedanken: „Ich bin stolz, dass diese Debatte in einem Museum geführt wird.“ Da hatten Plenum und Publikum eine über fünfstündige Diskussion hinter sich gebracht, die in der Tat so etwas wie ein Meilenstein sein dürfte. Am Tag nach der Eröffnung der Sammlung Flick im Hamburger Bahnhof hatte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu einem Symposium über das heißeste Thema des Berliner Kunstherbstes geladen: zum Gespräch über Macht und Moral, den Sammler und das Museum. Monate, wenn nicht Jahre zu spät hat die Institution selbst die Initiative ergriffen, nachdem sie von den öffentlichen Attacken über die Hintergründe der Flick-Collection überrollt worden war.

Im Verhältnis zum defensiven Agieren, das die Verantwortlichen seit Unterzeichnung des Leihvertrags mit Friedrich Christian Flick Ende 2002 an den Tag gelegt, ja selbst bei der Ausstellungseröffnung noch gezeigt hatten, wirkten die Protagonisten nun erstaunlich aufgeschlossen. Stiftungspräsident Klaus-Dieter Lehmann erklärte gleich zu Beginn, dass es um die Unabhängigkeit des Museums, die Wahrung der Glaubwürdigkeit ginge. Generaldirektor Peter-Klaus Schuster, der die erste Sektion mit Vorträgen über Erfahrungen aus den USA, Schottland, Frankreich, Spanien und der Schweiz moderierte, schlüpfte in die Rolle des advocatus diaboli und stellte den Referenten all jene Fragen, die in den letzten Wochen zunehmend deutlicher auch an ihn gerichtet wordenwaren: Wer hat die Deutungshoheit über die gegenwärtige Kunst? Was sind die moralischen Standards? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Sammler und Museum zueinanderkommen.

Glenn Lowry, Direktor des New Yorker Museum of Modern Art, erklärte die Verhältnisse in Amerika und Deutschland für kaum vergleichbar, da sich dort die Museen in privater Trägerschaft befinden und trustees die Entscheidungen fällen. Das Museum habe jederzeit Vetorecht, der Sammler könne woanders hingehen. Werner Spies, Leiter des Pariser Centre Pompidou von 1997 bis 2000, erklärte hingegen, dass eine Flick-Collection im dirigistischen Frankreich unvorstellbar sei, bei der sich der Staat auf ein „Roulettespiel“ mit den unbekannten Schätzen eines Sammlers einlasse. Gezeigt werde nur, was sich in öffentlichem Besitz befinde. Allerdings beklagte der Kunsthistoriker, die aktuelle Szene leide unter der fehlenden Kooperation mit Sammlern, durch die schließlich erst die Verbindung zwischen Museum und Künstler funktioniert.

Als Hans im Glück präsentierte sich dagegen Christoph Becker vom Zürcher Kunsthaus, nachdem auch Richard Calvocoressi von der Scottish National Gallery of Modern Art in Edinburgh und Thomas Llorens vom Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid Defizite in ihren Häusern eingeräumt hatten. In der Schweiz gebe es Sammler zuhauf, schwärmte Becker, man müsse sie nur pflegen und bei Vertragsabschluss auf den größeren Nutzen für das Museum achten, das schließlich einer „höheren Moral“ diene. Den Wegzug der Flick-Collection aus Zürich bedauerte Becker als großen Verlust für die Schweiz, denn Flick habe mit seinen Großeinkäufen innerhalb weniger Jahre ein Zürcher Kunstwunder bewirkt, von dem vor allem der Handel profitierte. Damit gewinnt auch die Berliner Galerienszene neue Perspektiven; zunächst aber fragte Stiftungspräsident Lehmann das Podium nach „unserer Verantwortung“ für die Flick-Collection.

Natürlich begrüßten sämtliche Teilnehmer die jüngste Debatte: Kultursenator Flierl lobte die gewachsene „Sensibilität“. „Zeit“-Herausgeber Michael Naumann wunderte sich über die Verengung auf eine Person, wo es um Versäumnisse in der Aufarbeitung bundesrepublikanischer Nachkriegsgeschichte gehe. Der Publizist Rafael Seligman forderte aus Gründen der Humanität eine Flicksche Zahlung in den Zwangsarbeiterfonds – und dann „Maseltow“, dann könne man sich der Kunst zuwenden. Naumann warnte vor moralischen Ermahnungen. Sie würden nur den Trotz des Sammlers verstärken. Trotz sei der Motor aller deutschen und griechischen Tragödien. „Flick hätte sich und uns die Debatte erleichtern können, hätte er nur eingezahlt.“

Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp sprach dagegen einer autonomen Kunst das Wort. Sie müsse freigestellt werden von den Bedingungen, unter denen sie gesammelt werde: „Erst dadurch erzeugt sie eine Diskussion hochpolitischer Art.“ Dass diese sich im schlimmsten Fall gegen die Kunst selbst zu richten vermag, konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. Während die Diskussion im Aktionsraum noch lief, hatte eine kurz zuvor als Störerin der Diskussion aufgetretene junge Frau ihren Ärger über die Sammlung Flick an einem Kunstwerk ausgelassen und zwei Werke Gordon Matta-Clarks schwer beschädigt. Über die Verletzlichkeit der Kunst selbst, nicht nur in ihrer konkreten Gestalt, hatte beim Ausbalancieren von Macht und Moral, Sammler und Museum bis dahin noch niemand gesprochen.

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