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Kultur: Der Beflügelte

Michael Naumann zum 65. Geburtstag

Wenn Michael Naumann in seinem künftigen Leben nicht noch einen tollen Roman schreibt, Nicole Kidman heiratet oder Harald (ja Harald, nicht Helmut) Schmidt ablöst, dann bleibt ihm eines gewiss: Man wird auch zu seinem Hundertsten noch die große lange Laufbahn in öffentlichen Würdigungen auf die legendären zwei Jahre 1999 bis 2000 verkürzen. Und das hat dann nichts mit grassierender oder googelnder Alzheimerei zu tun, sondern mit dem Faktum und Fatum, dass er zwar viele schöne Bücher und Aufsätze verlegt und verfasst, aber als erster Kulturstaatsminister der Berliner Republik eben auch selber ein Stück Geschichte geschrieben hat. Naumann gleich neben sich ins Kanzleramt zu holen, war Gerhard Schröders kühnste, klügste Personalentscheidung. Der Streit ums Berliner Holocaust-Denkmal, um Libeskinds Jüdisches Museum und die Restaurierung der Museumsinsel, der Hauptstadtkulturvertrag, der Kampf mit Brüssel um die deutsche Buchpreisbindung, ein besseres Stiftungsrecht oder die Neujustierung der Filmförderung – es herrschte Gründerzeit. Plus politischer Orientierungsschwäche. Im so verminten Gelände der Berliner Hauptstadtwerdung und eines eifersüchtig selbstverstrickten (Kultur-)Föderalismus brauchte es einen Kopf. Von draußen. Michael Naumann, das als solches kaum bekannte SPD-Mitglied, kam aus New York, als früherer Rowohlt-Chef und damals Leiter des Verlags Henry Holt, als einflussreicher Kenner der internationalen Literaturszene.

Es war ein Sprung. Der verkürzt und ein wenig hochtrabend sogenannte Kulturstaatsminister ist ja eigentlich nur ein gehobener Staatssekretär, mit geringem Etat, mit mäßigem Gehalt (weswegen es da manche nicht lange aushalten), das Ganze nur versüßt durch ein paar illustre gesellschaftliche Auftritte (Festivaleröffnungen) – und die Nähe zum Kanzler, zur Kanzlerin. Naumann aber, der Paradiesvogel dank eines in der Politik und gar seiner Partei so rar gewordenen intellektuellen Gefieders, begriff den Platz des Machtlosen in der Machtzentrale als Chance: um weniger den Minister, dafür jedoch Kulturstaat zu machen. Um durch die öffentliche Rede, die Macht der Bildung und des Denkens, ja sogar der Fantasie in einem oft provinziell gebeutelten Land wieder wachzurufen.

Hier Zeichen zu setzen, ist eine der Tugenden auch des jetzigen „Zeit“-Herausgebers, der mit seinen scharfsinnig temperamentvollen Leitartikeln zeigt, dass Politik ohne Geist gespenstisch wird. Nun gibt er, neben dem „Kursbuch“ auch noch die ehrwürdige „Andere Bibliothek“ heraus. Also heute, an seinem 65. Geburtstag, keine Spur von Ruhestand. Dafür Chapeau, und Schampus!

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