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Kultur: Der beliebte Deutsche

Eine italienische Zeitung rief mich vor einiger Zeit an. Man bat um einen Kommentar zu dem Ergebnis einer weltweiten BBC-Umfrage.

Eine italienische Zeitung rief mich vor einiger Zeit an. Man bat um einen Kommentar zu dem Ergebnis einer weltweiten BBC-Umfrage. Demnach war Deutschland von rund 30 000 Teilnehmern aus 28 Ländern zum dritten Mal nacheinander zum beliebtesten Land der Welt gewählt worden. Ich sagte, dass ich zum ersten Mal von diesem Befund hörte, und die Tatsache, dass offenbar kaum eine deutsche Zeitung davon Notiz genommen hatte, als ebenso positiv empfinden würde wie die Nachricht selbst.

In diesem Jahr dürfte Deutschland seinen ersten Platz bei der BBC-Umfrage verlieren. In ihrem Schwanken zwischen mecklenburgischer Hausfrau und Weltpolitikerin hat Angela Merkel kaum eine Gelegenheit verpasst, antideutsche Ressentiments neu zu beleben. In Griechenland und Italien, aber auch in England und Frankreich wird die Figur des hässlichen Deutschen wieder hervorgekramt. Es wäre ungerecht, die Kanzlerin und ihren täppischen Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder („Jetzt wird in Europa deutsch gesprochen“) allein dafür verantwortlich zu machen. In einer existenzbedrohenden Krise werden vermeintlich längst begrabene Beschuldigungsrituale wieder quicklebendig – und je billiger sie daherkommen, desto populärer sind sie.

Bevor das Bild vom freundlichen Deutschen also im Getöse um den Euro untergeht, möchte ich einen Nachruf auf diese Spezies riskieren. Die BBC-Umfrage galt dem Einfluss einer Nation in der Welt, ihren sozialen Errungenschaften, ihrem Lebensstil und ihren Produkten. Gerade in den drei vergangenen Krisenjahren hat sich gezeigt, dass deutsche Maschinen, Werkzeuge, Autos – ganz im Gegensatz zu vielen Ramschprodukten der deutschen Finanzwirtschaft – wertbeständig und weltweit begehrt sind. Sie sind nicht billig, aber sie halten, was sie versprechen. 1500 deutsche mittelständische Betriebe haben sich den Ruf erworben, die Besten ihrer Branche in der Welt zu sein.

Nur eingefleischte Preußenverächter werden bestreiten, dass dieser Erfolg sich einigen jener Tugenden verdankt, die als „deutsche“oder „preußische Tugenden“ gefeiert und geschmäht werden: Disziplin, Genauigkeit, Pflichtbewusstsein, Unbestechlichkeit. Wer in Südeuropa gelebt hat, kann bezeugen, was das Fehlen gerade letztgenannter dort anrichtet. Zu Recht hat Oskar Lafontaine in einer berühmten Replik auf Helmut Schmidt bemerkt, mit solchen „Sekundärtugenden“ könne man auch ein KZ betreiben. Mit gleicher Verve hat die 68er-Bewegung den Kampf gegen die „deutschen Tugenden“ aufgenommen. Dennoch war und wäre es engstirnig, im Zuge dieser Kritik die unbestreitbaren Leistungen zu leugnen, die die Deutschen einigen dieser Tugenden verdanken.

Sollte Angela Merkel allerdings vorhaben, die Europäer auf die deutschen Tugenden einzuschwören, wird sie scheitern. Es liegt auf der Hand, dass im traditionellen deutschen Wertekanon ein paar wichtige Posten fehlen: Großzügigkeit, Freiheitsliebe, Humor – und der Glaube an das europäische Projekt.

Peter Schneider ist Schriftsteller. Zuletzt erschien die Erzählung „Rebellion und Wahn – Mein 68“.

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