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Kultur: Der Berserker

Dem Jazzpianisten Michael Naura zum 70.

Seine Stimme. Wer an Michael Naura denkt, diesen weiß-lodernden Bartträger und Klavierberserker, hat nicht seine imposante, zugewachsene Erscheinung im Kopf, sondern die Stimme. Sie ist so jung und cool, dass, wer ihn nur reden hört, es mit einem Zeitlosen zu tun zu haben meint, mit einem aus der Zeit Gefallenen, dem das Älter- und Klügerwerden wenigstens akustisch nichts anhaben kann.

Dabei hat Naura, der heute 70 wird, sein Organ viel benutzt. Als langjähriger Chef der Jazz-Abteilung des NDR, wandte sich Naura mit einem unnachahmlich weichen Straßenjargon an ein Publikum, das überwiegend aus Akademikern bestand. Ganz geheuer war ihm das wohl nie, diesem 1934 im litauischen Memel geborenen Flüchtlingskind, das mit sechs Jahren und der Mutter nach Berlin kam. Zwar hat auch er studiert – Philosophie und Soziologie –, doch verträgt sich sein Jazzverständnis schlecht mit intellektuellen Höhenflügen. Für ihn ist diese Musik vor allem: Arbeit. Schwere Schufterei. Echte Kernerarbeit, der in dunklen, verrauchten Kellern zu unmöglichen Zeiten nachgegangen wird. Er selbst wäre daran beinahe zugrunde gegangen. 1963 musste er sein heißgeliebtes Quintett aufgeben, das zu den besten deutschen Nachkriegsbands zählte.

Wer Jazz liebt, muss ein Narr sein, lautet seine Botschaft. In seinen Büchern und Radiobeiträgen verlieren die Großen der Jazzgeschichte, die er mit schrullig-verliebtem Blick porträtiert, jeglichen Glanz. Dass auch sie sich mühsam durchs Erdreich wühlen und Genie allenfalls eine Frage des Temperaments ist, verrät eine von Moden unbefleckte Würde. Naura hat zu viel Leben in sich, als dass er das anderer ignorieren könnte. Zuletzt beschäftigte er sich mit dem tragischen Untergang des amerikanischen Trompeters und Drogenjunkies Chet Baker („Der lange Sturz“).

Noch immer zieht es ihn hinaus, aus der nordfriesischen Steppe, wohin er sich zurückgezogen hat. Sei es, dass er mit seinem Weggefährten, dem Vibraphonisten Wolfgang Schlüter, Duo-Konzerte gibt, oder dass er und der Lyriker Peter Rühmkorf einander zusetzen. Naura ist ein Gewohnheitstier. Wehe, es kommt in Schwung.

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