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Kultur: Der Boden war nicht so fest, wie es schien

Traumverlorenes Wandeln durch zahlreiche Sphären: Die Galerie Brockstedt zeigt eine Ausstellung von Wolfgang Frankenstein mit Gemälden und Aquarellen aus den vierziger JahrenVON MARKUS KRAUSE1949 wurde in Berlin ein Künstlerkabarett gegründet, das hieß "Die Badewanne".Es ist längst legendär.

Traumverlorenes Wandeln durch zahlreiche Sphären: Die Galerie Brockstedt zeigt eine Ausstellung von Wolfgang Frankenstein mit Gemälden und Aquarellen aus den vierziger JahrenVON MARKUS KRAUSE1949 wurde in Berlin ein Künstlerkabarett gegründet, das hieß "Die Badewanne".Es ist längst legendär.Alexander Camaro, Werner Heldt, Wolfgang Frankenstein und einige andere Maler, Grafiker und Schriftsteller unterhielten das Publikum mit absurden Sketchen und surreal-abgründiger Pantomime, mit denen sie das Lebensgefühl der Trümmerjahre auf treffende Weise zum Ausdruck brachten.Nicht selten blieb den Zuschauern dabei das Lachen im Halse stecken.Auf einem Foto von damals steht der junge Frankenstein auf einem Stuhl.In seiner rechten, hoch erhobenen Hand hält er ein Seil, den eigenen Kopf in der Schlinge.Immer höher reckt sich die Hand mit dem Strick, immer stärker zieht es den Körper nach oben.Schon berühren nur noch die Zehenspitzen den Boden.Was wird passieren? Wird der Mann den schwankenden Grund verlieren? Wie lange wird er das heikle Gleichgewicht der Kräfte balancieren, in der Schwebe zwischen Himmel und Erde verharren? Ein Blick auf seine frühen Gemälde und Aquarelle zeigt, daß Wolfgang Frankenstein diesen Zustand lange aufrechterhalten konnte, über etwa fünf Jahre hinweg, von 1944/45 bis 1950.In dieser Zeit wandelt er traumverloren und spielerisch durch zahlreiche Zonen."Versunkene Schiffe", so der Titel eines Gemäldes von 1949 (19 000 DM), gleiten wie selbstverständlich durch submarine Tiefen, Vögel, viel zu wuchtig und schwer, um zu fliegen, hängen reglos in luftigen Höhen ("Schwerer Vogel", 1949, 18 000 DM).Oben und Unten, Erde, Luft und Wasser verbinden sich in der romantischen Phantasie des Künstlers zu einem einzigen, grenzenlosen Lebensraum, zusammengehalten durch das weite Spektrum der Blau- und Grüntöne, mit denen er fast alle seine Leinwände und Papiere dieser Phase bedeckt.Surreal wirken diese poetischen Bilder, und doch sind sie völlig anders als die seiner malenden Mitstreiter, der Nachkriegssurrealisten Heinz Trökes, Hans Thiemann und Mac Zimmermann, die wie er nach 1945 zur Berliner Galerie Rosen gehören.Vielleicht liegt es tatsächlich an der besonderen, suggestiven Farbigkeit, daß man geneigt ist, Frankenstein für den Gefühlsbetontesten von ihnen zu halten. Die Angst saß den Überlebenden des Krieges tief in den Knochen.Kein Wunder, daß zahlreiche seiner Arbeiten auch von latenter, zum Teil realer Bedrohung handeln.Nicht immer ist dies so deutlich wie bei dem Bild "Vogel mit Käfig" von 1947 (20 000 DM), wo der weich gerundeten Vogelform eine spitze, verletzende Gitterkonstruktion gegenübergestellt ist.Drückt die Umkehrung der Verhältnisse, wie sie etwa bei dem erwähnten "Schweren Vogel" zu beobachten ist, nicht überhaupt ein Gefühl der Verunsicherung aus, liegt dem surrealen, scheinbar freien, ungebundenen Spiel nicht ein leiser Schrecken über die Möglichkeit der Aufhebung der Ordnung zugrunde? Dort, wo die Welt durchlässig wird, lauert auch das Beängstigende. Wolfgang Frankenstein, der am 5.Mai dieses Jahres seinen 80.Geburtstag feiert, bekannte einmal, daß er die Jahre nach dem Krieg als einen Tanz auf dem Vulkan empfand.Lebensfreude mischte sich mit dem ungläubigen Gefühl, noch einmal davongekommen zu sein, der Wille zum Aufbruch mit einer tiefen Skepsis, ob das Böse wirklich überwunden sei.Der Boden war längst nicht so fest, wie es schien.Gerade für ihn: 1944, ein Jahr, nachdem sein jüdischer Vater ins KZ Sachsenhausen deportiert worden war, hatte er sich der Einberufung zum Arbeitslager nur durch die Simulation von Schizophrenie entziehen können.Frankenstein wurde daraufhin in eine Nervenheilanstalt in Berlin-Nikolassee eingeliefert, wo er sich bis zum Ende des Krieges unter Gestapo-Aufsicht befand - angesichts des Euthanasie-Programms der Nazis eine mehr als kritische, eine lebensgefährliche Situation. Nur kurz jedoch währte die Phase, in der er sich der jungen Berliner Avantgarde zugehörig fühlte.Voller Idealismus siedelte er Anfang der fünfziger Jahre in den Ostteil der Stadt über, um hier an der Verwirklichung eines Traumes teilzuhaben, der so ganz anders war als der, dem er sich bisher in seiner Kunst hingegeben hatte.Nun, fast ein halbes Jahrhundert später, wird er langsam als eine der originären Persönlichkeiten der Nachkriegszeit wiederentdeckt; den Auftakt machte die Berlinische Galerie vor fünf Jahren mit einer Ausstellung zu seinem 75.Geburtstag.Das Interesse bezieht sich bislang in erster Linie auf die Arbeiten der vierziger Jahre.Für einen Künstler, der lebenslang gemalt hat, mag dies ein wenig schmerzhaft sein.Trotzdem scheint auch ihm sein Frühwerk heute, nach so manchen Enttäuschungen und Desillusionierungen, wieder besonders am Herzen zu liegen.Aus gutem Grund: Diese Bilder spielen mit Möglichkeiten, sie geben nicht vor, Antworten auf Fragen bereitzuhalten, die sich nicht eindeutig beantworten lassen. Galerie Brockstedt, Sächsische Straße 6, bis 28.Mai; Dienstag bis Freitag 14-18 Uhr, Sonnabend 10-14 Uhr.

MARKUS KRAUSE

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