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Kultur: Der Brandgeruch bleibt

"Authentische Orte" der Stiftung Brandenburgische GedenkstättenVON VON GERWIN KLINGERKurz nach der Wende in der DDR ließen Meldungen aufhorchen, es seien drei Massengräber mit Toten des Speziallagers Nr.7 gefunden worden, das der sowjetische Geheimdienst NKWD bis 1950 auf dem Gelände des KZ-Sachsenhausen betrieb.

"Authentische Orte" der Stiftung Brandenburgische GedenkstättenVON VON GERWIN KLINGERKurz nach der Wende in der DDR ließen Meldungen aufhorchen, es seien drei Massengräber mit Toten des Speziallagers Nr.7 gefunden worden, das der sowjetische Geheimdienst NKWD bis 1950 auf dem Gelände des KZ-Sachsenhausen betrieb.Das KZ nicht mehr nur Ort und Symbol des NS-Terrors, sondern des totalitären Terrors schlechthin - ein Bedeutungssturz schien sich anzukündigen.Zugleich ein Anzeichen, welch schwieriges Erbe das entstehende Land Brandenburg anzutreten hatte.Mit dem KZ Sachsenhausen und dem Frauen-KZ Ravensbrück obliegen ihm zwei der drei großen KZ-Gedenkstätten der DDR.Das Prädikat "National" trugen sie nicht von ungefähr im Titel.Hier inszenierte die SED den antifaschistischen Gründungsmythos des ostdeutschen Staates, die Legende von den Kommunisten als den "heimlichen Führern Deutschlands", die der Widerstand im KZ auf die Kommandohöhen von Politik und Wirtschaft führte.Hinzu kamen der Gedenkort für den Todesmarsch der KZ-Gefangenen bei Brelow und das Zuchthaus Brandenburg.Wie wenig Sensibilität im Umgang mit diesen Orten vorhanden war, mußte man 1991 erfahren, als die Wendefieber-Idee, in direkter Nähe zum KZ Ravensbrück einen Supermarkt zu eröffnen, internationale Empörung auslöste.So war es ein kluger Schritt, die Brandenburgischen Gedenkstätten 1993 in der selbständigen Stiftung zusammenzufassen.Dies sichert Fachkompetenz in der Leitung und eine - eng bemessene - finanzielle Grundlage. Die "authentischen Orte" werden häufig gegen die Idee eines zentralen Mahnmals in die Waagschale geworfen.Doch wie authentisch sind Brandenburgs Gedenkstätten? Auch das Authentische verbürgt nicht den umstandslosen, sinnlichen Zugang zur Historie.Das Lager Sachsenhausen ist ein geschichtsträchtiger Ort: Deutungen und Mythen, gezielte Präsentation und Vertuschung überlagern sich hier so, als seien verschiedene Texte auf ein und dasselbe Blatt gedruckt worden.Vom Besucher wird die detektivische Mühe des Entzifferns verlangt.In das gleichseitige Dreieck der KZ-Mauern ist der NS-Terror eingeschrieben.Er traf über 200 000 Menschen.Zehntausende wurden ermordet oder zu Tode geschunden: Kommunisten, Linksintellektuelle, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, "Asoziale" und Kriegsgefangene.Eingeschrieben ist aber auch die lange verschwiegene, vertuschte Geschichte des NKWD-Lagers von 1945 bis 1950.60 000 Menschen waren interniert: NS-Systemträger, aber auch sowjetische Kriegsgefangene, die nun als Verräter behandelt wurden.Etwa 12 000 starben an Hunger und Krankheit.Die jüngst gefundenen Massengräber zeugen davon.In der Hauptsache bestimmt hier jedoch das Monument der "Nationalen Mahn- und Gedenkstätte der DDR" die Wahrnehmung.Ein gewaltiger Obelisk, vor dem ein Rotarmist seine Arme schützend über zwei sich entschlossen aufrichtende KZ-Gefangene breitet, dominiert.Das KZ wird definiert als Leidensstätte der Kommunisten.Ihr Opfer und ihr Widerstand werden mythologisiert zum eigentlichen Gründungsakt der DDR.Der aktuelle Zustand des Lagers teilt nicht zuletzt einiges über den deutschen Umgang mit Holocaust-Relikten mit.Die wenigen Originalbauten sind bis in die Substanz desolat.Schilder warnen vor Einsturzgefahr. Dabei fehlt es nicht an gutem Willen, Ideen und Engagement.Im Rahmen der engen Finanzenvorgaben von Bund und Land wurde ein langfristiger Investitionsplan erarbeitet: zur Sicherung historischer Substanz, zur behutsamen Neugestaltung der Gedenkstätten.Günter Morsch, der Leiter der Brandenburgischen Gedenkstätten, übersetzt dieses große Ziel in kleine, eigenständige Projekte.Im Zuchthaus Brandenburg wurden an der Hinrichtungsstätte drei Gedenkräume eingerichtet und eine Dokumentationsstelle, die Opfergruppen, Zuchthausalltag und Einzelschicksale erforscht.Die Überreste des Frauen-KZ Ravensbrück bei Fürstenberg sollen sukzessive nach einem landschaftsplanerischen Entwurf von Stefan Tischer, Susanne Burger und Philipp Oswalt gestaltet werden.Hier und im nahen Jugend-KZ Uckermark mußten 132 000 Frauen und Mädchen Zwangsarbeit leisten.Die Zahl der Toten wird auf 50 000 bis 90 000 geschätzt.Auf dem überbauten und verwilderten 200-Hektar-Areal soll die räumliche Ordnung des KZ kenntlich gemacht werden: Stammlager, Siemens-Lager für Rüstungsproduktion, Jugend-KZ und SS-Siedlung.Im Stammlager soll ein Berg schwarzer Schlacke im Zuge der archäologischen Erschließung auf dem unbebauten Boden ausgebracht werden und wie ein inverser Abdruck die Grundrisse der Baracken anzeigen.Im Siemens-Lager sollen die Reste der Werksgebäude und die Wege vom Bewuchs befreit werden, während die SS-Siedlung als unheimlich idyllische "Geisterstadt" erhalten bleibt. Für Sachsenhausen ist ein dezentrales Arrangement geplant, das bei den Originalbauten ansetzt.In Gebäuden, die besonders mit bestimmten Themen verbunden sind, sollen entsprechende Dokumentationen gezeigt werden, etwa zur NS-Medizin, zum NKWD-Lager oder zu den Planungen der SS.Ein wichtiger Baustein sind die Baracken 38/39, in denen die jüdischen Gefangenen untergebracht waren.Sie wurden im September 1992 Ziel eines antisemitisch motivierten Brandanschlags.Ein Barackenflügel wurde völlig zerstört. Wie mit dem geschändeten Denkmal umgehen? Nach intensiver Diskussion fiel die Entscheidung für den Bau eines "Museums Baracke 38" mit einer Dauerausstellung "Jüdische Häftlinge im KZ Sachsenhausen".Den Architekten Braun, Voigt & Partner ist eine Lösung gelungen, die sich in das historische Ensemble fügt.Der neue Baukörper wiederholt die Gestalt der ursprünglichen Baracke und macht die Spuren des Anschlags - Brandgeruch ist noch wahrnehmbar - selbst zum Ausstellungsobjekt: Er integriert die Ruine und rekonstruiert mit einem Stahlgitterrost, das eine unaufdringliche Zäsur zwischen alt und neu setzt, die ursprünglichen Konturen. Die hier untergebrachte Ausstellung erinnert an die jüdischen Gefangenen.Der Besucher bewegt sich entlang dreier chronologischer Schienen durch die Zeit von 1936 bis 1945: Sie geben Informationen und Darstellungen zur historisch-politischen Lage, zur Entwicklung des NS-Staates und zur rassischen Verfolgung; parallel wird die Situation der Juden im KZ Sachsenhausen dokumentiert.Der Aufbau gibt Orientierung, die Gesamtsicht läßt Zusammenhänge erkennen.Die Phasen der Judenverfolgung zeigen sich in der Geschichte des KZ: Die erste Einlieferung von 6000 Juden erfolgt nach dem Novemberpogrom von 1938; mit dem Überfall auf Polen werden polnische und staatenlose Juden inhaftiert.Im Oktober 1942 werden die Juden nach Auschwitz deportiert, 1944 setzten als Folge des Kriegsverlaufs Redeportationen nach Sachsenhausen ein. Eingelassen in die Chronologie sind biographische Vitrinen.Sie zeigen, wie die großen politischen Linien den Lebensweg einzelner jüdischer Häftlinge schneiden.An Fotos, Briefen und Gegenständen aus dem persönlichen Besitz gewinnen ihre Biographien Gestalt: gläubige und assimilierte Juden, Intellektuelle, Kommunisten und Bürgerliche.Die über 800 Dokumente sind auf dem knappen Raum mit Raffinement und Liebe zum Detail präsentiert.Sie betrachtend und studierend wird man ihrer Aura gewahr, in der sich individuelle Schicksale und deutsche, europäische Geschichte mischen. Ein "acustic guide" für das weitläufige Gelände in Sachsenhausen kostet 120 000 DM, die vom Land nicht aufgebracht werden.Spenden erbittet die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten: Berliner Bank, BLZ 100 200 00, Kto.910 35 3500.

GERWIN KLINGER

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