zum Hauptinhalt

Kultur: Der Chip des Bösen

Jonathan Demmes Film „Der Manchurian Kandidat“ und das Bild des manipulierten Amerika

Dreimal sagt die Stimme aus dem Telefon, langsam und eindringlich, seinen Namen. Und, nach einer kurzen Pause, die Hypnoseformel: „Hör mir zu.“ Schon ist der Jungpolitiker Raymond Shaw bereit, alles zu tun, was die Stimme von ihm verlangt. Zum Beispiel, einen Senator zu töten. Und dessen Tochter gleich dazu, in die er selbst vor Jahren verliebt war, bevor seine eigene Mutter die Verbindung auseinander brachte. Und was für eine Mutter: Witwe eines mächtigen Politikers und Interessenvertreterin des Weltkonzerns Manchurian Global, hat sie nichts anderes im Sinn, als ihren Sohn so schnell und skrupellos wie möglich zum US-Präsidenten zu machen.

Dieser Raymond Shaw ist ein Maskottchen. Eine Lenkwaffe. Eine jederzeit hypnotisierbare Tötungsmaschine, seit seine Einheit im Golfkrieg „Desert Storm“ einer Gehirnwäsche unterzogen wurde – in einem Wüstencamp, geheim betrieben von Ärzten und Wissenschaftlern der Manchurian Global. Die „Medal of Honor“, die ihm mit den Weg ins Weiße Haus ebnen soll: Bullshit. Denn im Camp lernte Shaw, unter Hypnose sogar die eigenen Kameraden zu töten. Nur weiß er das nicht mehr – ein Implantat im Hirn und ein Chip in der Schulter machen ihn gefügig und löschen die Erinnerung. Keine Frage, wenn nichts mehr dazwischen kommt, wird Manchurian Global demnächst die Welt regieren.

Raymond Shaw, dessen Mienenspiel zwischen Entschlossenheit und debil anmutender Leere schwankt, ist nicht George W. Bush. Und Manchurial Global ist nicht Halliburton, Enron, Carlyle und wie die militärisch-industriellen Komplexe hinter dem Präsidenten und seiner Familie noch heißen mögen. „Der Manchurian Kandidat“ von Jonathan Demme, das Remake eines John-Frankenheimer-Films von 1962 nach dem gleichnamigen Roman von Richard Condon (1958), ist Fiktion: Science Fiction und Verschwörungstheorie in einem. Und doch, wir leben im Science-Fiction-Jahrhundert. Und ohne Verschwörung, ohne Manipulation geht nichts in der Politik. Was, wenn der mandschurische Kandidat mehr mit dem texanischen Präsidenten zu tun hat, als unsere Kino-Weisheit sich albträumen lässt?

Es gibt so Anzeichen. Zum Beispiel jene Szene, in der George W. Bush minutenlang reglos vor einer Schulklasse verharrte, nachdem ihm jemand die Nachricht vom Anschlag auf das World Trade Center zugeflüstert hatte: Michael Moore hat sich in „Fahrenheit 9/11“ gnadenlos darüber lustig gemacht. Auch im Licht von Demmes viel subtilerem Thriller wirkt Bush nun, als hätte ihm jemand den Stecker rausgezogen: abgebrochen der Kontakt des ferngesteuerten Menschen zu seiner Basisstation. Oder man erinnere sich an die Debatte um seltsame Ausbeulungen in der Präsidentenjacke während des TV-Wahlduells: Bei Demme hätte es am verrutschten Chip gelegen. Vielleicht war’s in Wirklichkeit ein Mini-Gerät, das den Deklamator mit neuen Phrasen füttern sollte. Oder doch nur der Schneider, der sich – einstweilen – schuldig bekannte.

Vieles ist Paranoia in diesen Tagen. Kein Wunder: Das christlich-fundamentalistische, neo-isolationistische Amerika ist dem Rest der Welt nach dem überwältigenden Bush-Sieg wieder ein Stück unheimlicher geworden. Da kommt Demmes Film in Europa ganz recht – gerade nach der Wahl wirkt er, Fiktion hin, Fiktion her, wie eine schlüssige Metapher der immer tiefer greifenden Entfremdungen. Vier weitere Jahre regiert ein demokratisch gewählter Präsident die Welt, der mit zwei beharrlich wiederholten Lügen einen Angriffskrieg rechtfertigt, dem laut Schätzungen womöglich über 100000 Menschen zum Opfer gefallen sind; der in Abu Ghraib und wohl auch in Afghanistan hat foltern lassen; und der zugleich Konzerne, die ihn alimentieren, skrupellos zu den fettesten Kriegsgewinnlern macht. Gleichzeitig betet dieser Mann bei jeder Gelegenheit – und hat damit den einstigen Bible Belt, der die USA nordsüdlich teilte, zum gigantischen Bibelbauch aufgebläht. Wie tickt ein Mensch, wie tickt ein Land, das über solche Widersprüche mit erstaunlich satter Mehrheit hinweggeht?

Liev Schreiber spielt im „Manchurian Kandidat“ den von der eisernen Mutter (Meryl Streep) ferngesteuerten Politikstar hin- und hergerissen zwischen Victory-Grinsen und totaler Verlorenheit – nicht zuletzt, weil ihn sein einstiger Captain Ben Marco (Denzel Washington) auf den richtigen Weg bringt. Kalte Fassung gewinnt Shaws Gesicht nur unter Hypnose. Was, wenn auch beim real existierenden Präsidenten eine Zauberformel wirken sollte, eine der religiösen Art? Gott, Segen, Glaube: Das sind die Begriffe, mit denen der dann gefestigt wirkende Bush seine Reden spickt und wiederum sein Volk hypnotisiert. Das Böse würde damit möglich und zugleich die Erinnerung daran getilgt. Von der Autosuggestion zur Selbst-Absolution: Schon muss sich niemand schuldig fühlen.

Die düstere Assoziationsskala, die „Der Manchurian Kandidat“ mehr noch als Michael Moores selber hypnotisch mit Dauertremolo arbeitendes Umsturzpamphlet eröffnet, ist nach oben offen – und gründet auf dem reich bestellten Feld des nicht nur amerikanischen Misstrauens, das die Sehnsucht nach Frieden im Glauben scharf kontrapunktiert. Durfte nicht jene Firma, die 2000 mit ihren Wahlmaschinen in Florida ins Zwielicht geraten war, nach Spenden an Bushs Leute ihre Geräte diesmal in weiteren Staaten aufstellen? Kein Wunder, dass da laut „Spiegel“ nur ein Drittel der Deutschen glaubt, bei der jüngsten Wahl sei es mit rechten Dingen zugegangen. Und dabei ist noch nicht mal vom Oberwahlhelfer Osama bin Laden die Rede, der sich wirkungsvoll kurz vor der Entscheidung per Video in Erinnerung brachte – und damit, weitere Verschwörungstheorie, für die diskrete US-Ausreise seiner Familie nach dem 11. September noch einmal erkenntlich zeigte.

Da war die Welt zu Zeiten des Frankenheimer-Originals, in dem Frank Sinatra den guten Ben Marco spielte und Laurence Harvey die traurige Tötungsmaschine, noch übersichtlich: Das Reich des Bösen war der Kommunismus. Der klassische Gegner im Kalten Krieg residierte, in einer Art Stalin-Mao-Gehirnwaschcenter, hinten in der Mandschurei. Heute teilen sich diesen Job die Terroristen, die die Kriegsgründe liefern, und jene Konzerne, die vom Krieg profitieren. Jonathan Demmes Remake schärft das manchmal grob satirische Leitmotiv der Vorlage zur zeitgemäß schmerzhaften Metapher für ein durch Lügen, Manipulationen und Bigotterie versehrtes Land. Und indem der Film – anders als John Frankenheimer – seinen finsteren Helden nicht als Attentäter, sondern als ersten Anwärter auf die Macht inszeniert, treibt er seine politische Aussage auf die sarkastisch-hyperrealistische Spitze. Der Einzelne ist nichts, und sei es der Präsident. Die Apparate regieren, und Apparate haben kein Gewissen.

Die kanadische Psychologin Catherine Gildiner hat kurz nach dem 11. September das menschliche Bedürfnis nach Verschwörungstheorien auf einen klugen Begriff gebracht. Sie seien, schrieb sie, eine „kollektive Form der posttraumatischen Belastungsstörung“, mit dem sich unser Gehirn auf den nächsten Angriff vorbereitet. Auch ohne Paranoiker zu sein, wird man heute sagen dürfen: Der nächste Angriff kommt bestimmt. Nur wen er trifft, steht noch nicht fest.

Zur Startseite