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Kultur: Der Code der kleinen Dinge

In der Galerie Wohnmaschine erforscht Takehito Koganezawa den Sinn im Absurden

Roland Barthes bekannte, in Japan sein Glück gefunden zu haben, weil er dort von der Allgegenwart des Sinns befreit wurde. Ohne Kenntnis der fremden Schrift und der kulturellen Codierung der Dinge entstand ein sinnleerer Raum. Für den Semiologen, dem sonst alles zur Bedeutung gerann, ein paradiesischer Zustand, eine Art wiedergewonnener Naivität.

Was Barthes in Japan erlebte, versucht der in Berlin lebende Japaner Takehito Koganezawa zu wiederholen: Es ist der Versuch, die Abwesenheit von Bedeutung mutwillig herbeizuführen, und nur noch eine unbestimmte ästhetische Wahrnehmung übrig zu lassen. Koganezawas zunächst gar nicht fernöstlich anmutende Zeichnungen (600 - 2500 Euro) verdanken gleichwohl viel seiner japanischen Herkunft, speziell der Bilderschrift der Kanji. Koganezawa beginnt eine Zeichnung damit, das Papier auszuwählen und zwei bis drei Farben zu bestimmen. All das geschieht ohne Sinn, aber macht für ihn schon 50 Prozent der späteren Zeichnung aus. Das Motiv wählt er etwa aus einer Zeitschrift, zum Beispiel einen Fisch, ohne dass ihn dabei interessieren würde, welcher Art dieser Fisch zugehört oder aus welchem Kontext er stammt. In akkurater, manchmal naiv anmutender Manier setzt Koganezawa dann mit Buntstift den Fisch als Bild auf das Papier, etwa so wie ein Kanji als Bild-Zeichen auftreten würde. Um diesem Bild aber sogleich seinen Sinn als Zeichen zunehmen, wird es mit anderen bildnerischen Elementen kombiniert und verfremdet. Im Kanji entstehen auf ähnliche Weise andere Wortbedeutungen: Die Zeichen für „Wasser“ kombiniert mit dem Zeichen für „lang“ ergibt etwa den Begriff „Fluss“. Wenn aber Koganezawa bei seinen Zeichnungen den Fisch mit bunten Kreisen oder eine Handtasche mit sich schlängelnden Linien zusammenbringt, ergibt sich genau die gegenteilige Wirkung. Der Sinn wird sozusagen durchgestrichen, da die Kombination zufällig und absurd ist. Genau darum geht es Koganezawa: Einen Zustand zu erreichen, wo beim Zeichnen der Sinn aufhört.

Auch in Koganezawas Videoinstallation erschließt sich der japanische Hintergrund erst auf den zweiten Blick. Mit einhundert Dingen aus Küche und Baumarkt produziert Koganezawa Geräusche und Klänge: Da knackt ein zerbrochener Chinakohl, die Schere klappert, es summt der elektrische Milchschäumer und die per Bildbearbeitungsprogramm verlangsamten Erbsen läuten beim Fallen in die Schüssel wie Kirchenglocken. Koganezawa hat seine Geräuschproduktion auf kurze Sequenzen reduziert und spielt diese in der Installation gleichzeitig auf drei Monitoren ab. Der Zusammenklang wird durch einen Zufallsgenerator gesteuert, der aus dem Angebot der Takes „sinnlose“ Rhythmen im 4/4 Takt herstellt, die manchmal an Techno-Beats erinnern. Die drei Monitore, die Koganezawa selbst an ein Jazztrio erinnern, haben für den Japaner sogar Namen: beat, mood und cheat heißen sie. Die Dinge wie die Sounds und Rhythmen haben ebenfalls keine Bedeutung, es sei denn gerade die, dass sie sinnlos sind. In klassisch japanischer Auffassung stellt diese Wahrnehmung der „reinen“ Erscheinung ohne Sinn aber eine höhere Form des Bewusstseins dar, als das Hängen an Bedeutungen. Zumindest ist es viel schwieriger, die Dinge in der Schwebe zwischen Sinn und Unsinn zu belassen, so dass sie anfangen, im Kopf zu tanzen. Koganezawas Videoinstallation (12 000 Euro) heißt übrigens „Dancing in your head“.

Galerie Wohnmaschine, Tucholskystraße 35; bis 19. April; Dienstag bis Sonnabend 11–18 Uhr.

Ronald Berg

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