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Kultur: Der deutsche Dschingis Khan James Palmer umschwirrt

Baron Ungern-Sternberg

Schlagen Sie oft Leute?“, fragte der Staatsanwalt den Angeklagten. „Nicht oft genug, aber es kam vor“, war die lakonische Antwort des Mannes, der von sich selbst gesagt hatte: „Mein Name ist so sehr mit Hass und Angst verbunden, dass niemand beurteilen kann, was wahr und was falsch ist, was Geschichte und was Mythos.“

Wahr ist: Er hieß Roman Nikolaj Maximilian von Ungern-Sternberg, war ein deutschstämmiger estnischer Freiherr, russischer Staatsbürger und entfernt mit den Romanows verwandt, für deren Rückkehr auf den Zarenthron er Zeit seines – mit 36 Jahren kurzen – Lebens im fernen Osten kämpfte. Er wurde auf verschlungenen Wegen zum letzten Khan und „lebenden Buddha“ der Mongolei, wo er mit einer kleinen Reitertruppe die chinesische Besatzung beendete, aber auch das Vordringen der Roten Armee blockierte. Sie fasste ihn erst nach einer Meuterei seiner eigenen Truppe 1921 und ließ ihn nach einem Schauprozess vor 7000 Zuschauern hinrichten.

Für seine Ankläger war er der blutige weiße Baron: Weiß, weil er als ehemals zaristischer Offizier auf der Seite der „Weißen“ den Bolschewismus bekämpft hatte, blutig, weil er bei seinen Feldzügen in der Mongolei unter Freund und Feind ein blutiges Regiment geführt hatte. Mit drakonischen Strafen erzwang er die Disziplin seiner Kämpfer, befahl Judenpogrome in eroberten Gebieten und zog für den mongolischen „König“ Bogd Khan unter dem traditionellen Hakenkreuz Dschingis Khans ins Feld. Von Bogd Khan zur Wiedergeburt seines Vorgängers erklärt, umgab er sich mit einer buddhistischen Aura als inkarnierter Kriegsgott, was ihn nicht hinderte, sich vor seinen Richtern als Christ zu bezeichnen. Als ihn der Staatsanwalt fragte, wie er die Berufung auf das Christentum mit seinen Grausamkeiten vereinbart habe und warum er selbst die Kinder seiner Feinde ermorden ließ, gab er die Antwort: „Weil sie alle Sünder waren.“

Viele der Legenden um seine Person gehen auf den Bericht eines polnischen Zeitzeugen zurück, der ihm 1921 in der Mongolei begegnete und anschließend einen reißerischen Bericht „Bestien, Männer und Götter“ über den mongolischen Feldzug Ungerns und den tibetischen Buddhismus veröffentlichte, der – 1922 in New York erschienen – zum Weltbestseller wurde. Als zuverlässige Quelle taugt er nicht, wie der Asienforscher Sven Hedin in einem kleinen Buch „Ossendowski und die Wahrheit“ nachwies. Für den Autor des vorliegenden Buches, den in Peking lebenden Reiseschriftsteller James Palmer, war Ossendowski zwar ein „hinreißender Geschichtenerzähler“, aber „bedauerlicherweise scheint ein Großteil davon pure Erfindung zu sein“. Authentische Quellen zu Person und Leben Ungerns sind rar; sein entfernter deutscher Verwandter Hermann Keyserling, der wie er aus dem Baltikum stammte, ist ihm immerhin persönlich begegnet und fand in ihm seine eigenen esoterisch-okkultistischen Ideen bestätigt und zugleich übersteigert: Ein „Geschöpf zwischen Himmel und Hölle“, aber „sicherlich der bemerkenswerteste Mensch, den ich je das Glück hatte kennenzulernen“.

Ungerns zahlreiche Opfer werden die Begegnung mit ihm kaum als Glück empfunden haben. Mag sein, dass Adolf Hitler ihm gern begegnet wäre, dessen Juden- und Kommunistenhass Ungern mit einem eigenen „Kommissarbefehl“ vorweggenommen hat: Sowjetkommissare, Kommunisten und Juden müssten „ausgelöscht“ und ihr Besitz konfisziert werden, hatte er 1921 in seiner Order Nr. 15 verfügt, deren Einleitung übrigens sein Chronist Ossendowski verfasst hat. Kein Wunder, dass ihn 1938 ein nationalsozialistischer Kolportageroman mit dem Titel „Ich befehle! Der Kampf und die Tragödie des Barons von Ungern“ als heldenhaften Vorläufer des deutschen Führers verklärte. Anders als dieser hat sich Ungern allerdings seinen Richtern gestellt und zu seinen Taten bekannt; in die Gewehre seines Hinrichtungspelotons blickte er „mit stoischer Ruhe“. Für seinen Biografen war das „ein saubererer Tod als die meisten, die Ungern selbst überwacht hatte“. Ein Held? Über Heldentum lässt sich streiten.

James Palmer:

Der blutige weiße Baron. Die Geschichte

eines Adligen,

der zum letzten Khan

der Mongolei wurde.

Eichborn Verlag.

Frankfurt am Main 2010. 380 Seiten, 32 Euro.

Hannes Schwenger

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