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Kultur: Der entfesselte Bürger

Zur Eröffnung des Berliner Theatertreffens: „Macbeth“-Regisseur Jürgen Gosch über Nacktheit, Gewalt und Tod

Herr Gosch, heute Abend wird das Theatertreffen mit Ihrer Düsseldorfer „Macbeth“-Inszenierung eröffnet, und Ihre „Drei Schwestern“ aus Hannover setzen den Schlusspunkt des Festivals. „Macbeth“ gilt dabei als gefeiertste und umstrittenste Aufführung der Saison. Männer spielen hier alle Parts, auch die der Frauen – wie zu Shakespeares Zeiten. Aber bei Ihnen sind die sieben Spieler überwiegend nackt, und es fließt viel Blut, es spritzen Exkremente.

Das ist von Shakespeare.

Trotzdem verlassen manche Zuschauer die Aufführung. Was bedeutet es für Sie, dass Menschen auf die Nackten und den Einsatz von so viel künstlicher Körperflüssigkeit mit Befremden reagieren?

Wenn der Zuschauer den Eindruck hat, dass das, was er auf der Bühne sieht, nicht schlüssig ist und nur aus kalauernder Eitelkeit oder Versehen passiert, dann hält er es zu Recht für überflüssig und ärgerlich. Alle Mittel, auch die völlig unspektakulären, müssen sich legitimieren durch ihren Einsatz für den Text, für die Sicht auf das Stück.

„Macbeth“ handelt von Macht, Gier und selbstzerstörerischer Gewalt. Das Leitmotiv geben die drei Hexen vor, nach deren Prophezeiung Macbeth handelt: „Fair is foul and foul is fair.“ Schön ist schlimm und schlimm ist schön, heißt das bei Ihnen. Es ist die Umwertung aller Werte, und selbst das Geschlecht ist nicht mehr eindeutig.

Ja, das fängt bei den doppelgeschlechtlichen Hexen an. Hier treten sie nackt auf, um das körperlich zu beglaubigen – zumal sie von Männern gespielt werden und, das ist ganz wichtig, ein Mann auch die Lady Macbeth spielt.

Sie wollten „Macbeth“ von Anfang an nur mit diesen sieben Schauspielern aufführen?

Nur das und der Text standen von vornherein fest. Die Nacktheit war kein Regie-Konzept. Das entwickelt sich in der Probenarbeit, die viel zu sehr auf die Auseinandersetzung mit dem Stück und tausend künstlerische oder praktische Fragen konzentriert ist, als dass für etwas Spekulatives Raum wäre.

Lady Macbeth ist ein Mann im Rock. Die zwitterwesigen Hexen sind nackt und verstellt zugleich, weil die Akteure ihre Genitalien hinter zusammengepressten Schenkeln verbergen; wie Jungs, die Mädchen spielen. Beides leuchtet ein. Die frontalen Entblößungen von König Duncan und des Usurpators Macbeth wirken jedoch wie die ständige Beteuerung: Der Kaiser, der König ist nackt. Ist das nicht eine simple Botschaft?

Diese Botschaft hatten wir nie im Sinn. Ich habe auch nie an Andersens Märchen von „Des Kaisers neuen Kleidern“ gedacht.

Schauspieler entblößen sich doch immer auf der Bühne, selbst wenn sie angezogen sind! Das gehört zu ihrer Existenz. Betont demonstrative Nacktheit nicht etwas, das ohnehin der Fall ist?

Ich verstehe Ihr Bedenken. Aber im konkreten Fall ist die Nacktheit auch ein Ausdruck des Proben-Prozesses. Vor 20 Jahren habe ich in Köln mal den „Ödipus“ gemacht, mit Ulrich Wildgruber in der Titelrolle, und alles in den Masken von Axel Manthey.

Ein Triumph. Obwohl die Masken völlig starr waren, glaubte man eine fabelhafte Vielfalt von Gesichtern zu erleben.

Zunächst aber dachten wir, mit den Masken nur zu spielen, sie auch mal abzulegen. Nach drei Wochen Proben ging dann die Maske von Wildgruber kaputt. Bis sie repariert war, wollten wir einfach so weitermachen. Da brach plötzlich alles zusammen, und Wildgruber sagte, er könne ohne Maske nicht mehr probieren. Er würde immer rot werden. Als wäre die Maske ein notwendiger Schutz. So blieben wir dabei, und die Schauspieler zeigten ihr Gesicht, indem sie es verbargen.

Ist die Nacktheit nun Zuflucht in eine kindlich-primitive Ursprünglichkeit?

Wenn Sie wollen. Aber es war einfacher: Wir hatten auf den Proben schon früh mit dem Theaterblut angefangen, es gab für die Schauspieler immer Flaschen mit Wasser und Blut. Dazu haben sie mit hohem Einsatz ziemlich schweißtreibend probiert, und dadurch wurden sie nass. Die Hexen-Männer, das fand ich nötig, spielten ohnehin nackt, und irgendwann legten auch die anderen ihre nasse Probenkleidung ab. Nicht, weil ich es befahl! Und auf einmal konnten sie sich in der Geschichte freier bewegen. Die sieben Spieler müssen ja ständig springen, in andere Rollen schlüpfen. Plötzlich konnten sie sich in ihrer Nacktheit oder mit spärlichen Kostümen viel schneller verwandeln. Das sind ganz praktische Motive.

Können Sie noch ein anderes nennen?

(Schweigt eine Weile) „Der Kaiser ist nackt“ hat uns nicht interessiert. Aber ich finde, dass der Schauspieler Ernst Stötzner mit seinem weißen Körper und langen graublonden, irgendwie Otto-Waalkes-haften Haaren als König Duncan, mit nichts bedeckt als einer goldenen Krone, einen großen Eindruck macht. Der ist schön wie aus einem Bild von David Hockney. In einer anderen Szene treten alle Sieben mit jungen Bäumen auf, die sie als Wald von Birnham vor Macbeths letzter Schlacht vor sich tragen.

Diese Nackten im Laub gleichen sieben Mal Adam im Paradies. Vor der Flucht.

Eben das wäre unmöglich mit irgendwelchen Kostümen. In Hemd und Hose wären sie nicht so in der Natur gestanden. Die Selbstverständlichkeit der Nacktheit hat uns selbst überrascht. Da fragt man dann nicht mehr nach dem Grund. Wie bei einem Gemälde von Lucian Freud.

Der sich und andere entblößende Maler Lucian Freud ist der Enkel Sigmund Freuds. Wirkt der Erfolg dieses „Macbeth“ auch als Therapie für Ihren statuarischen, von langen Männerbärten geprägten Berliner „Macbeth“ vor 20 Jahren, mit dem sie als gerade inthronisierter Schaubühnen-Direktor furchtbar Schiffbruch erlitten?

Ich kann ganz gut vergessen und verdrängen! Ich weiß nicht mal mehr, welche Rolle Ernst Stötzner, der schon damals dabei war, in Berlin gespielt hat. Ich weiß nur, dass ich die Aufführung im nachhinein selber blöd fand, und wollte den „Macbeth“ bei Gelegenheit noch mal machen. In der Schaubühnenzeit war ich etwas verkrampft, heute bin ich sehr viel entspannter. Früher gab es mehr Anordnungen, inzwischen will ich Schauspielern nichts verbieten. Wenn sie etwas nicht machen sollen, dann muss es andere Wege geben – sonst versuchen sie, es auf der nächsten Probe nur zu vermeiden. Und das Vermeidenwollen ist das Schlimmste.

Herr Gosch, Sie sind ein höflicher, leiser Mann, mit Formbewusstsein und bürgerlichen Umgangsformen. Ein Künstler, der auch mal Krawatte trägt. In Ihrem Theater aber kommt häufig Brutalität zum Vorschein, ein proletarisch-außenseiterischer Furor. Man sieht das auch an Ihren beiden jüngsten Inszenierungen, Gorkis „Nachtasyl“ in Hamburg und „Auf der Greifswalder Straße“ am Deutschen Theater Berlin. Berührt das Ihre eigene Nachtseite?

Vermutlich. (Pause) Aber ist es die Nachtseite? Man hofft halt, so lange man arbeitet, dass genug Welt in einem ist, um etwas auszudrücken. Genug auch von der Welt (lächelt), auf die Sie anspielen.

Sie sind 1943 in Cottbus geboren, in Ostberlin aufgewachsen und haben die DDR Ihrer Jugend früher als roh und düster beschrieben. Wirkt das nach?

Natürlich. Es prägt einen, und manchmal schaudere ich auch vor mir selber.

Warum?

Weil ich noch so bin. Oft dumm, oft roh.

Die Gewalt, selbst die Liebe oft als Ausdruck des Liebeskrieges, das treibt Sie um?

Außerhalb des Theaters ist das kein Gedanke. Aber wenn ich inszeniere, dann ist das offenbar etwas, was mir immer wieder passiert und was mich interessiert.

Spielen dabei äußere Ereignisse eine Rolle, näherrückende Kriege, der Terrorismus?

Kann sein. Beim Inszenieren dringt es wohl ein.

Träumen Sie manchmal Ihre Einfälle, haben Sie wiederkehrende Inbilder?

Es gibt einen tollen Satz von Michelangelo Antonioni: „Über sich selbst zu sprechen, ist schwierig. (Pause) Und außerdem unsympathisch!“ (Gelächter) Ich denke, ich denke sehr wenig über mich nach. Weil man es trotzdem tut, erledige ich es hauptsächlich im Theater. Da fällt mir noch etwas zu dem Motiv der Nacktheit ein. Auf dem Programmheft der Hamburger Gorki-Inszenierung haben wir Hans Holbeins Bild des fast nackten toten Christus…

… das Gemälde zeigt anatomisch schonungslos den Leichnam des Gemarterten…

Bei der Arbeit am „Nachtasyl“ hat mich kein noch so kluger Text über Sozialfälle, Alkoholiker, Obdachlose so sehr beschäftigt wie der tote Christus von Holbein.

Sind Sie selbst religiös?

Ich weiß nicht, wie ich sein müsste, um jetzt ja oder nein zu antworten.

Der eigene Tod rückt näher.

Auch das.

Denken Sie öfter an Ihren Tod?

Jeden Tag!

Also denken Sie doch über sich nach.

Vielleicht. Nur, ich vergesse es wieder.

Aber Ihren Tod vergessen Sie nicht?

Doch, Gott sei Dank!

Im Moment inszenieren Sie in Berlin und Köln fast gleichzeitig zwei Stücke von Roland Schimmelpfennig und die Uraufführung eines neuen Textes von Yasmina Reza. Warum machen Sie so viel Theater?

Aus Geldnot. Aus Lust. Nicht, weil ich Angst hätte, morgen zu sterben! Vielleicht muss man ganz viel machen, damit sich wenigstens ab und zu etwas fügt. Eine Winzigkeit glückt. Außerdem ist alles ein Versuch, etwas gegen die Langeweile zu unternehmen. Die ist das Schlimmste im Theater.

Das Gespräch führte Peter von Becker

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