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Kultur: Der ernste Hermes

Zum Tod des Germanisten Arthur Henkel

Er war einer der letzten großen Literaturwissenschaftler vor den „Ismen“ – vor dem Existenzialismus, dem Marxismus, dem Feminismus, dem Dekonstruktionismus. Heutigen Studenten der Literatur mutet es fast schon seltsam an, dass es einmal eine Zeit gab, da die Kunst des Lesens von Lehrer zu Schüler weitergegeben wurde – nicht im Sinne des „Ismus“, der einen Text „mit Sartre“, „mit Marx“ oder „mit Derrida“ mehr variiert als interpretiert, sondern nur im Horizont der Jahrtausende alten literarischen Tradition und ihrer einfachen Verstehenslehre, der Hermeneutik. Durch die Kenntnis der Gesprächsverhätnisse von Texten durch die Zeiten und die Erfahrung ihrer ästhetischen Gestalt erschloss Arthur Henkel, der am 12. März dieses Jahres seinen 90. Geburtstag feierte, Generationen von Schülern das literarische Kunstwerk – jenseits von Weltanschauung.

Henkels berühmtester Lehrer war der Germanist Max Kommerell, den er nach Leipziger und Marburger Studienjahren in Köln kennenlernte. Die Genialität des dem George-Kreis mit innerer Distanz nahestehenden Kommerell faszinierte ihn sein Leben lang. In der Marburger Zeit prägte ihn der Glehrtenkreis um den Theologen Rudolf Bultmann, dem auch Hans-Georg Gadamer angehörte. Nach dem Krieg wurde er in seiner Heimatstadt Marburg habilitiert und begann als Professor in Göttingen. Henkels Buch über Goethes „Wanderjahre“ (1954) wurde bald zu einem Standardwerk. 1957 erhielt er den Ruf an die Universität Heidelberg, wo er bis zu seiner Emeritierung lehrte.

Mit Albrecht Schöne gab er die „Emblemata“ heraus, das Handbuch der Sinnbildkunst des 17. und 18. Jahrhunderts, und schuf damit die Grundlage für einen neuen literatur- und kunstwissenschaftlichen Forschungszweig. Über die sensationalistisch präsentierte „Enthüllung“ seiner NSDAP-Mitgliedschaft durch ein Germanistenlexikon vor zwei Jahren konnte er sich nicht trösten. Bereits am vergangenen Dienstag ist Arthur Henkel in Heidelberg gestorben.

Marius Meller

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