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Kultur: Der Erzähler als Gestalter

Unter den Experten, die der Direktor des Jüdischen Museums, Michael Blumenthal, am vergangenen Wochenende zu einer "Konzepttagung" für die Einrichtung seines Hauses nach Berlin eingeladen hatte, ist der 1918 in Warschau geborene Jeshajahu "Shaike" Weinberg der Senior.Weinberg wurde bekannt als "Designer" der ständigen Ausstellung im Washingtoner Holocaust Memorial Museum, das als eines der erfolgreichsten historischen Museen der Welt in fünf Jahren 10 Millionen Besucher verzeichnete.

Unter den Experten, die der Direktor des Jüdischen Museums, Michael Blumenthal, am vergangenen Wochenende zu einer "Konzepttagung" für die Einrichtung seines Hauses nach Berlin eingeladen hatte, ist der 1918 in Warschau geborene Jeshajahu "Shaike" Weinberg der Senior.Weinberg wurde bekannt als "Designer" der ständigen Ausstellung im Washingtoner Holocaust Memorial Museum, das als eines der erfolgreichsten historischen Museen der Welt in fünf Jahren 10 Millionen Besucher verzeichnete.Wie ist dieser Mann an diese Aufgabe gekommen? Er sitzt im Sessel einer Hotellobby und beginnt zu erzählen.Doch ehe die Erzählung in Gang gekommen ist, sagt Direktor Blumenthal, der sich auf einen Sprung hinzugesellt: Es sei keinesfalls beabsichtigt, in Berlin ein Holocaust-Memorial-Museum zu errichten, selbst wenn man den Einrichter eines so erfolgreichen Holocaust-Museums nach Berlin geholt habe.

Die Erzählung beginnt so: Das Grunewald-Gymnasium, im April 1933.Der fünfzehnjährige Weinberg geht in Berlin zur Schule.Sein Griechischlehrer macht ihn darauf aufmerksam, das Tragen zionistischer Abzeichen sei seit dem 1.April - da ein politisches Emblem - nicht mehr erlaubt.Der Junge verlangt, die NSDAP-Abzeichen müßten dann ebenfalls verbannt werden.Ein frecher Jude.Die Schule ist in Aufruhr, der Direktor ruft den Vater, erklärt, daß er den Jungen weiterhin gerne unterrichten wolle, für sein Leben aber nicht garantiere.In derselben Nacht verläßt die Familie Deutschland, zunächst nach Warschau, später nach Palästina.

Shaikes Leben ist nicht untypisch für einen Teil der jüdischen Diaspora.Weil der Krieg zwischen Polen und der entstehenden UdSSR seine Familie zu vernichten drohte, war sie nach Frankfurt am Main gezogen; dort arbeitete der Vater als Korrespondent polnischer Zeitungen.1927 war die Familie dann nach Berlin gezogen, dort wurde der Vater für Zeitungsverlage im Papierhandel tätig.Zwischen 1929 und 1933 also wohnten der junge Weinberg und Michael W.Blumenthal in derselben Stadt, nicht weit von einander entfernt.

In Israel ist Shaike Kibbutznik geworden.Im Kibbutz wird man nicht ausgebildet, sondern man mußte dort alles können; deshalb, sagt Weinberg, sei er "ein Hans-Dampf", aber "auf hohem Niveau".Er besitzt einen Ehrendoktor des Hebrew Union College in New York, doch studiert hat er nie.Bei Kriegsbeginn ist er gerade 21, er schließt sich einer jüdischen Brigade an - sie kämpft unter britischem Kommando und marschiert 1944 in Norditalien ein.Über den Krieg aber will Weinberg nichts mehr sagen, außer, daß er gelegentlich Revuen für die Soldaten organisiert habe.Kaum ist der Krieg vorbei, findet er Arbeit als Computerspezialist.Nicht, daß er jemals gelernt hätte, wie ein solches Gerät - mit Lochkarten und viel Lärm - funktioniert, aber er bleibt neugierig.Sobald eine Arbeit halbwegs interessant aussieht, sagt er zu: so geht das in seinem Leben.Damals gab es nur zwei Computer in Israel - den einen hatte das Militär, den anderen das Büro des Premierministers ; Shaike "befehligte" den des David ben Gurion.Im Büro des Premierministers blieb er bis 1956, wechselte dann zum Kameri-Theater in Tel Aviv, dessen Direktor er bis 1971 war.

Seit 1970 aber beschäftigte sich Weinberg außerdem mit ganz anderen Problemen, er begann Entwürfe zu machen für ein Diaspora-Museum.Autodidakt ist er immer geblieben, aber dieses Museum ist seit fast 30 Jahren ein "Muß" für jeden Israel-Besucher geworden.Bei der Entwicklung des Diaspora-Museum in Jerusalem lernt Weinberg, daß er keine Artefakte, keine Exponate dafür zur Verfügung hat, wie das in normalen Museen der Fall ist.Denn was haben Juden in 3000 Jahren aufgehoben, das für ein Museum wichtig sein könnte? Weinberg muß sich auf das Erzählen beschränken.So entsteht ein neue Art von Museum: nicht die Gegenstände sprechen, aus der Not wird eine Tugend gemacht: eine "Storyline" wird zur Grundlage.Wo das Authentische fehlt, wird es nachgebaut, nachempfunden, in die Chronologie eingefügt.Kritiker sagen: "Hier war ein Theatermann am Werk." In Deutschland würde man sagen: Hier wurde "inszeniert".Und weil nichts so erfolgreich ist wie der Erfolg, folgt bald die nächste Anfrage: Ob er noch ein Museum einrichte? So entsteht Ende der 70er Jahre der "Tower of David".In einem Teil der alten Stadtmauer wird dieses Museum der Geschichte Jerusalems realisiert.4000 Jahre Historie im Turm jener Mauer, die einst von den Türken gebaut wurde, ebenfalls ein "narratives" Museum.

Die größte Herausforderung aber kam für den Israeli Mitte der 80er Jahre aus Washington, die Arbeit seines Lebens: Planung und Einrichtung der Ausstellung des Holocaust Memorial Museums.Das Gebäude - Architekt ist James Ingo Freed vom Büro Pei, Cobb & Freed - gehört zu den wichtigsten Museen der amerikanischen Hauptstadt.Dort, wie im Falle des Berliner Libeskindbaus, hatte der Architekt zuvor keine Ahnung, was letzlich im Museum stehen wird, eine Sammlung gab es nicht.So entwarf Freed (wie auch Libeskind) eine Art Holocaust Monument, ohne zu wissen, was der Inhalt sein würde.Weinberg und sein Team stritten über vier Jahre, bis sie anhand dieses Projektes ihr Konzept des "Narrativen Museums" entwickeln konnten.

In diesem Jahr nun, Anfang Mai, ist Weinberg nach Berlin gekommen.Er sah sich den Libeskindbau an und war zunächst skeptisch, wie man dort ein effektives Museum realisieren sollte.Obwohl er die "storyline" bevorzugt, ist ihm nämlich wichtig, daß der Besucher innerhalb des Museums zurückgehen kann ("wie mit einem Buch"), damit er etwas mit dem vorher Gesehenen vergleichen kann.Zunächst schien das an diesem Ort unmöglich.Mittlerweile sieht er, daß auch dieser museale Umgang mit dem Libeskindbau nicht ausgeschlossen ist.

Wenn Shaike Weinberg zurückblickt, gefällt ihm immer wieder der Spruch eines Arbeiters beim Washingtoner Museumsbau: "Ein solches Haus sollte man in jeder Großstadt haben, damit wir die Menschen erziehen können, nicht mehr zu morden." Allerdings weiß Weinberg, das bemerkt er humorvoll und ernst zugleich: "Es geht hier nicht um ein Holocaust-Museum, sondern um ein Museum für deutsch-jüdische Geschichte.Obwohl ich wegen der Libeskind-Architektur zunächst skeptisch war, glaube ich, daß wir - mit Unterstützung von vielen Seiten, wir schaffen es nicht allein - mit dieser Architektur doch ein großartiges Museum einrichten können."

MICHAEL S.CULLEN

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