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Kultur: Der Evangelist wird Heiland

50 Jahre Philharmonie: Auftakt mit Simon Rattle.

Die Festwoche zum 50. Jahrestag der Einweihung von Hans Scharouns Philharmonie ist eröffnet. Nicht mit Fanfarenklang. Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker haben als Auftakt Bachs Matthäus-Passion gewählt. Und die Karfreitagsmusik zum herbstlichen Jubiläum legt den christlich-barocken Gedanken nahe, dass wir mitten im Leben, auch im Feiern, mit dem Tod umfangen sind.

Regisseur Peter Sellars spricht ohnehin von „uns“, weil es für ihn in dem Werk keine Zuschauer und Zuhörer gibt, sondern nur Mitwirkende im Prozess des Trauerns. Das bedeutet als szenisches Ritual, dass auf dem mit Sitzwürfeln und Abendmahlstisch dekorierten Podium auswendig gesungen wird. Von allen, dem wunderbaren Rundfunkchor, den Solisten. So sind dreieinhalb Stunden ungewöhnliche Konzentration zu bewundern. Dabei folgt das Auf und Ab der Chorregie nicht wie üblich dem Diktat der Musiknummern, sondern dem Inhalt: Man erhebt sich andächtig, wenn vom Tod Christi berichtet wird, nicht erst zum Einsatz des Chorals „Wenn ich einmal soll scheiden“. Die Chöre spielen die schuldige Menschheit, am Boden kauernd, rasend im Erklettern des berühmten Saals.

Als vorzüglich deklamierender Evangelist, das heißt: Berichterstatter, nimmt Mark Padmore im Verlauf der Passion zunehmend die Rolle Jesu ein, mit gefesselten Händen und schmerzendem Rücken nach der Geißelung. Skepsis weckt auch die Darstellung der Arien, zumal wenn Magdalena Kožená wegen Indisposition nicht singt, sondern nur spielt, als verschmerzt büßende Magdalena umgeht, tröstend den Evangelisten herzt oder ihre Hände pantomimisch zur „Opferschale“ formt. Das ist theatralischer Bibber zu dem engelhaften Gesang von Stella Doufexis: „Ach, nun ist mein Jesus hin.“

Schön voneinander abgehoben klingen die tiefen Männerstimmen, da mit dem lyrischen Jesus des Christian Gerhaher der emotional glühende Eric Owens in den Bassarien kontrastiert. Ein musikalischer Höhepunkt unter vielen gelingt mit den philharmonischen Solobläsern und Camilla Tilling in der Sopranarie „Aus Liebe will mein Heiland sterben“.

Gemischte Gefühle bleiben, aber auch Bewunderung: für die fließenden Choräle, das Orchester, Simon Rattles Behändigkeit bei unbedingtem Ernst. Ein neues philharmonisches Passionsspiel unter Sellars kündigt sich an: die Johannes-Passion 2014. Sybill Mahlke

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