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Kultur: Der fällt aus dem Rahmen

Christoph Hartmann spielt Oboe bei den Philharmonikern. Im Nebenjob produziert er Fahrräder

„Ciao Francesco! No, no, no, niente – Si! Si, si, si, si.“ Mit wem verhandelt der Oboist der Berliner Philharmoniker da so locker auf Italienisch? Mit einer italienischen Konzertagentur? Nein: „Mein Fahrradrahmenbauer“, sagt Christoph Hartmann. Musik, Radsport und Italien sind für den 41-jährigen Musiker Themen, die sich nicht trennen lassen. Zumal auf den Fahrradrahmen, um die es geht, auch der gleiche italienische Name zu lesen ist wie auf seiner Debüt-CD: „Pasculli“.

Antonio Pasculli, der 1842 in Palermo geboren wurde und dort 1924 starb, war bisher nur eingefleischten Klassik- und Oboenfans ein Begriff. Wegen seiner extrem virtuosen Stücke wird der Komponist auch „Paganini der Oboe“ genannt. Besonders für Oboenstudenten ist Pasculli ein hartes Training – technisch wie musikalisch. Bringt man aber wie der Marathonläufer Christoph Hartmann die nötige Besessenheit mit, dann kann man den Punkt erreichen, wo die technische Studie zur Musik wird. „Ich finde, es sind einfach schöne Stücke“, schwärmt er. „Wobei die Musik nicht nur von der Virtuosität lebt, sondern eben auch von den tollen Melodien der italienischen Opern, die Pasculli bearbeitet hat.“

Die Emotion von Verdi und Donizetti, mit wahnwitzigen Läufen und Sprüngen für die Oboe bearbeitet und mit Klavierbegleitung versehen, das interessierte Hartmann auch nach dem Studium, als er seinen Traumjob bei den Berliner Philharmonikern angetreten hatte. Bei einem Gastspiel des Orchesters in Palermo nahm er die Gelegenheit wahr, in der Bibliothek des dortigen Konservatoriums nach Pasculli-Noten zu forschen. „Ich wusste, dass er dort unterrichtet hat“, sagt er. „Die Ärzte hatten Pasculli prophezeit, dass er erblinden würde, wenn er seine Solistenkarriere nicht beendete.“ Zu Hartmanns Erstaunen schleppten die Bibliothekare aber nicht nur die bekannten Kammermusikwerke herbei, sondern auch Handschriften mit so schönen Titeln wie „Liebenswerte Erinnerung an La Traviata“, „Fantasie über Donizettis Poliuto“ oder „Großes Konzert über I Vespri Siciliani“. Und einige davon enthielten unbekannte Originalversionen von Pasculli-Werken mit voller Orchesterbegleitung.

Pasculli mit Orchester? „Das wäre doch mal ein Projekt für dich“, meinte Hartmanns Philharmoniker-Kollege Albrecht Mayer. Der Solo-Oboist musste es wissen, Mayer ist einer der wenigen Weltstars in seinem Instrumentenfach. „Aber wenn man nicht der große Klassik-Star ist, dann ist es nicht so einfach, so ein Projekt auf die Beine zu stellen. Und das selber aufzunehmen, ist auch blöd: Tausende von Euro investieren, um eine CD aufzunehmen, das bringt nichts“, erzählt Hartmann. Er fragte trotzdem bei der EMI an und erhielt prompt eine Abfuhr. Er könne ja „mal etwas schicken“, bot die Plattenfirma an. Also engagierte Hartmann einen Pianisten und nahm ein Pasculli-Stück auf. „Daraufhin haben sie mich angerufen und gesagt, wir machen’s.“

Doch nicht nur mit der EMI begann Hartmann in dieser Zeit zu verhandeln, sondern auch mit Francesco Muraca, dem besagten Fahrradrahmenbauer. Der Oboist ist ein mindestens so begeisterter Radsportler wie Musiker. Sein Lieblingsfahrradladen: „Bike-Line“ in Friedenau. „Früher war ich ganz normaler Kunde in dem Laden“, sagt Hartmann. „Doch dann habe ich mich immer mehr mit den Besitzern angefreundet. Irgendwann bin ich dann quasi als Sponsor mit eingestiegen und hab einen Anteil gekauft.“ Hartmann knüpfte Kontakte, fuhr sogar zu Messen mit. Quasi als mentaler Ausgleichssport. „Es war toll, mal in einem anderen Metier die Cracks kennenzulernen und nicht nur in der Musik. Wobei das mit der Musik die Sache auch erleichtert hat: Viele Radbauer sind musikbegeistert und freuen sich, wenn sie ins Konzert kommen – und ich freue mich, wenn sie mir mal ihre Lenkerfirma zeigen.“

Als der Oboist und seine Frau bei einem Sommerkonzert in ihrem italienischen Urlaubsdomizil in der Nähe von Mailand Muraca kennenlernten, war die Grundlage für eine Eigenmarke gelegt. „Eigentlich sollte sie ‚Passione‘ heißen“, sagt Hartmann. „Weil es unsere gemeinsame Leidenschaft ist“ – und als Hommage an das gelobte Land des Radsports und der Musik. Doch weil der Name bereits geschützt war, schwenkte man schnell auf ein anderes Symbol dieser Leidenschaft um: Pasculli. „Der Name hat auch genau die Buchstaben, die auf einem Fahrradrahmen gut aussehen“, erklärt der Oboist und zeigt stolz die maßgefertigten Räder im farbenfrohen Retrodesign.

Wie ein passionierter Verkäufer klärt er über die Besonderheiten von Carbonrahmen auf und berichtet über die Leidenschaft japanischer wie amerikanischer Radfans für alles Italienische. Einige Kollegen von den Philharmonikern, mit denen er bei den weltweiten Konzerttourneen auch gerne einmal neue Fahrradtouren entdeckt, hat der Oboist mit seiner Begeisterung schon angesteckt. Sie fahren jetzt mit Pasculli zum Konzert.

Christoph Hartmanns CD „Fantasia Italiana“ mit Rudolf Piehlmayer und den Augsburger Philharmonikern ist bei der EMI erschienen.

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