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Frankreich und USA: Der Fall DSK - eine Art Clash of Civilizations

Das Ende der "exception sexuelle": Wie die Affäre um Dominique Strauss-Kahn die Franzosen neu nachdenken lässt – über das Verhältnis von Männern und Frauen, Macht und Moral.

Wenn es stimmt, was zwei Rezeptionistinnen des Sofitel unabhängig voneinander ausgesagt haben, dann war Dominique Strauss-Kahn an dem Tag, als er New York ankam, ziemlich scharf auf Sex: Die erste Empfangsdame, die ihn nach dem Einchecken bis in seine Suite begleitete, versuchte er noch zu bezirzen und lud sie auf ein Glas Champagner ein, aber sie lehnte ab. Später soll er ihre Kollegin angerufen haben und schon am Telefon sehr direkt geworden sein.

Es sieht ganz so aus, als habe am nächsten Tag das Zimmermädchen dran glauben müssen. Troussage de domestique, wie das in Frankreich lapidar kommentiert wurde, das kurze Bespringen des Dienstmädchens, das schön still hält – bis es schwanger ist. „Weißt du denn nicht, wer ich bin“, soll DSK das Zimmermädchen gefragt haben, während er sie zu Boden drückte. So ist es jedenfalls am Dienstag aus den Vernehmungsprotokollen der Polizei durchgesickert. Und dann soll er noch mal nachgesetzt haben: „Don’t you know who I am?“

Wer er ist? Dominique Strauss-Kahn, DSK, Manager des Internationalen Währungsfonds, der Mann, der davon träumt, der zukünftige Präsident Frankreichs zu sein, ein VIP, mit anderen Worten, so eine Very Important Person, der man sich nicht in den Weg stellt und der man keine Dienste verweigert.

Aber was weiß Nafissatou Diallo vom IWF? Sie hat andere Sorgen als die Verschuldung Griechenlands, und was schert sie der französische Wahlkampf, wenn der eigene Wohnsitz in der Bronx liegt? Die 32-Jährige hatte Angst, ihren Job zu verlieren, für sie war er nur ein Mann mit einem komplizierten Namen, dessen fotokopiertes Porträtfoto im Umkleideraum aushing. Man könnte meinen: als Warnung.

Der Fall DSK ist ein Lehrstück aus dem Niemandsland der Macht, wo die Luft dünn ist, so dünn, dass sie einem schon mal den Kopf verwirren kann. „Ich bin überzeugt davon, dass diese Affäre, wäre sie in Frankreich passiert, nie ans Licht gekommen wäre“, sagte die französische Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Gisèle Halimi. Ein erschütterndes Urteil. Aber eines, das alles sagt über Frankreich, wo jährlich geschätzte 27.000 Frauen vergewaltigt werden. Nur ein Bruchteil von ihnen erstattet Anzeige.

Den Franzosen führt der Fall schmerzhaft vor Augen, dass sie noch immer in einer höfisch strukturieren Gesellschaft leben, wo die Galanterie zur Machtausübung gehört wie Zepter und Krone zum König. In dieser Gesellschaft scheinen die Grenzen zwischen Libertinage, sexueller Belästigung und Vergewaltigung mitunter immer noch fließend, leider immer nur für den Täter, niemals für das Opfer. Nafissatou Diallo, die sich Ophelia nennen lässt, Ophelia wie die Verlobte Hamlets, ist ein unsichtbares Opfer. Die ersten Tage nach der Schockwelle war es so, als existiere sie nicht. Das einzige offizielle Foto von ihr zeigt eine große Frau, versteckt unter einem weißen Laken.

Der aufgeregten Öffentlichkeit fehlte das Bild, der letztgültige Beweis für das Unerhörte. Ein Foto ihrer Bluse mit Spermaspuren, das ungläubige Volk will Beweise, wie damals bei Monica Lewinsky, jene Affäre, von der wir vor allem das Blau ihres Kleides erinnern.

Stattdessen zeigten die französischen Medien Bilder des unrasierten, gebrochenen Strauss-Kahn in Handschellen und kritisieren im selben Augenblick an den USA, dass solche Fotos überhaupt erlaubt sind. Wie beim Einsturz des World Trade Centers mutet man sich die Bilder zu, unablässlich, um das Unsägliche zu begreifen. In Frankreich hatte man tatsächlich keine Skrupel, die Schockwelle, die DSKs Verhaftung ausgelöst hat, mit den Anschlägen des 11. September zu vergleichen. Vermutlich weil auch hier zunächst galt, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.

Eine „unmögliche Tatsache“ hat Christian Morgenstern das genannt. Die Psychologen sprechen von Verleugnung. Der Unglaube der Franzosen, von denen unmittelbar nach den Ereignissen mehr als die Hälfte ans Komplott glaubt, wirkt wie die panische Reaktion, die man von Trauernden kennt. Man will den Verlust nicht wahrhaben. Man muss erst lernen, ihn zu akzeptieren.

„Die Katastrophe“, „Das französische Drama“, das waren die Schlagzeilen, die zeigen, wie tief erschüttert das Selbstvertrauen der französischen Nation ist: „Nicht du! Nicht das! Nicht jetzt!“, sagt ein Sportreporter damals, als Zinédine Zidane 2006 das WM-Endspiel gegen Italien und seine eigene Karriere mit einem Kopfstoß beendete.

Strauss-Kahn hätte Frankreich erlösen sollen. Erlösen von seinem impulsiven, schwer kontrollierbaren Präsidenten, erlösen von dessen Bling-Bling, all das wirkt im Nachhinein mehr als absurd. Das Foto, das den „Kaviarlinken“ DSK zeigt , wie er in einen Porsche steigt, wirkt jetzt wie ein Vorbote. Dann kam der Absturz. „Ein Stern ist vom Himmel gefallen“, hieß es in einem Gastkommentar. Auch als Ikarus ist er bezeichnet worden. Sein Absturz lässt sich auch als Fehlleistung eines Mannes lesen, der tief im Innersten wusste, dass er besser nicht Präsident werden sollte.

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Den Franzosen wird mit seiner Anklage wegen versuchter Vergewaltigung klar, dass das Land sich vom „elektoralen Donjuanismus“ verabschieden muss: „Ein guter Kandidat in Frankreich muss verführen, Frankreich will wie eine Frau genommen werden, wenn nicht sogar wie ein Weibchen, und die Macht des Erwählten misst sich am Testosteronwert in seinem Blut“, notiert Christophe Barbier, Chefredakteur des Magazins „L’Express“. Mit dieser exception culturelle muss nun Schluss sein.

Die Verleugnung ist so groß wie die Erwartungen, die DSK enttäuscht hat. Auch deswegen musste der mutmaßliche Täter in Frankreich zum Opfer stilisiert werden: Die Fotos, die von ihm um die Welt gingen, wurden als mediale „Exekution“ empfunden, wie es der ehemaliger Justizminister Robert Badinter formulierte. Für ein paar Tage schien es so, als wolle sich die politische und intellektuelle Elite des Landes mit Peinlichkeiten gegenseitig überbieten. Bernard-Henri Lévy legte kühne Unschuldsgarantien ab, weil es sich um einen, um seinen Freund handele. Als ob die Freundschaft mit BHL ein Versicherungsschein sei, der vor Armut, Kriminalität und Krankheit schützt. Obwohl – in Frankreich mag das vielleicht sogar stimmen.

Jack Lang musste seine flapsige Bemerkung, „es sei ja niemand zu Tode gekommen“, zwar zurücknehmen, aber einen Nachsatz ließ man ihm durchgehen. Der ehemalige Kulturminister konnte unwidersprochen behaupten, die Amerikaner würden einen Franzosen büßen lassen – und „nicht den Geringsten“. Zwischen den Zeilen durfte man ergänzen: büßen für die Polanski-Affäre, für den Anti-Amerikanismus der Franzosen, für ihre allzu leichte Lebensart. Vermutlich hat er damit vielen aus der Seele gesprochen. Roman Polanski wurde von der Kulturschickeria Frankreichs mit Klauen und Zähnen gegen das scheinbar willkürliche amerikanische Rechtssystem verteidigt, am meisten von Kulturminister Frédéric Mitterrand, der wenig später öffentlich gestehen musste, dass er auf seinen Asienreisen kleine Jungs für Sex bezahlt. In seinem Buch „Mauvais Garçon“ hatte er geschrieben: „All diese Rituale auf dem Markt der Jugend, auf dem Sklavenmarkt erregen mich unsäglich.“ Rücktritt? Doch nicht deshalb. Nicht in Frankreich.

Was in den Alkoven passiert, in den Hinterzimmern der Macht oder an den Stränden von Thailand, das geht die Öffentlichkeit nichts an. Der Bericht der Polizisten, die DSK im Auto mit einer Prostituierten erwischt haben, wurde gestern, Jahre später, öffentlich gemacht. Das Doppelleben Mitterrands, Chirac, der sich rühmte, für seine Seitensprünge nicht länger als zehn Minuten zu brauchen, „einschließlich Dusche“, all das gehörte bislang zur Folklore Frankreichs. Über die Sexualpartner oder -Praktiken von Politikern Bescheid zu wissen, war Machtwissen, mit dem man bei Pariser Tischgesellschaften brillieren konnte. Veröffentlichen? Nie. Aus Respekt vor dem Privatleben. Da verwischt dann auch leicht die Grenze zwischen Ausschweifung und Verbrechen.

Zum ersten Mal müssen sich die französischen Journalisten die Frage gefallen lassen, ob es richtig war, das ans Pathologische grenzende Verhalten von Strauss-Kahn verschwiegen zu haben? Ein Journalist von „Libération“ sagt: „In dem Augenblick, in dem man eine Kollegin nicht allein zum Interview schicken kann, handelt es sich um eine Art von Gewalt. Ein Politiker muss sich zusammenreißen können.“ Nur ein Beispiel: Einer Kollegin hatte DSK ein Interview per SMS bestätigt: „Ich erwarte Sie mit ausgefahrenem Periskop!“

An der „Affäre DSK“ zeigt sich in Wahrheit eine Art clash of civilizations: auf der einen Seite die übertriebene Prüderie Amerikas, auf der anderen die ausgestellte Libertinage der Franzosen; dort die angloamerikanische Vorliebe der Medien für den Rinnstein, hier die Kumpanei zwischen Politik und Medien; in den USA ein Rechtssystem, das alle Menschen hart, aber gleich behandelt, in Frankreich eines, bei dem gemauschelt und ausgedealt wird, wo alle vor dem Gesetz gleich sind, aber manche eben ein wenig gleicher.

Einen Nutzen hat die Affäre. Sie wirkt wie eine überfällige, wenn auch schmerzhafte Katharsis. Es wird neu nachgedacht. Über Macht und Ohnmacht. Über das Verhältnis von Männern und Frauen, Politikern und Journalisten. Und über das Ende der exception sexuelle.

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