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Kultur: Der Fall Schmökel: Kontrollverlust

Frank Schmökel ist ein Patient. Bis zu seiner Flucht lebte er in einem Krankenhaus.

Frank Schmökel ist ein Patient. Bis zu seiner Flucht lebte er in einem Krankenhaus. Pfleger führten über ihn die Aufsicht, Ärzte entschieden über seinen Freigang. Ein kranker Mann, der Hilfe braucht? Was seinen Opfern und deren Angehörigen unerträglich erscheinen muss, ist Realität: Mit viel Aufwand und teuren Fachleuten therapiert der Staat einen gefährlichen Schwerverbrecher, statt ihn sicher und dauerhaft wegzuschließen. In Deutschland nennt sich dieses System "Maßregelvollzug". Richter entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen ein verurteilter Straftäter statt in die normale Strafhaft in den Maßregelvollzug kommt. Für psychisch kranke Täter ist das Krankenhaus die Regel.

Die Flucht Schmökels entzündet die Diskussion um den Maßregelvollzug erneut. Wieder einmal geht dabei einiges durcheinander. So forderte Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) als Reaktion "schärfere Gesetze im Strafvollzug" und "Sicherheit vor Rehabilitierung". Auch das "Begutachtungssystem" sollte geprüft werden. Eine Sprecherin des Potsdamer Gesundheitsministeriums hält die bestehenden Vorschriften dagegen für ausreichend. Allerdings: Beide sprechen über verschiedene Dinge. Für das Gesetz über den Strafvollzug ist das Bundesjustizministerium zuständig. Nach Auskunft einer Sprecherin dort werde zurzeit nicht daran gedacht, schärfere Vorschriften für Strafgefangene einzuführen. Sie verweist im Fall Schmökel mit Recht auf die Gesundheitsministerien der Länder, die sich um den Maßregelvollzug kümmern müssen.

Auch für diese Vollzugsform gibt es Gesetze, zumindest in den Ländern. Brandenburg beispielsweise verfügt über eines mit der umständlichen Bezeichnung "Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen sowie über den Vollzug gerichtlich angeordneter Unterbringung für psychisch Kranke". Der Titel sagt es schon: Hier geht es auch um den Maßregelvollzug, aber nicht ausschließlich. Näheres regelt nur eine interne "Rundverfügung", etwa die "Lockerungsstufen", nach denen Frank Schmökel - Stufe vier - "begleiteter Einzelausgang" zustand. Anders als die Anstaltsleiter im Strafvollzug können die Ärzte im Maßregelvollzug auf keine gemeinsamen Regeln zurückgreifen. Zudem ist der Sicherheitsaspekt in ihren Vorschriften weniger ausgeprägt. Im Strafvollzugsgesetz heißt es an herausragender Stelle: Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums sagte am Donnerstag, ein Bundesgesetz sei zu diesem Thema nicht in Vorbereitung. Immerhin: Im Brandenburger Gesundheitsministerium kursiert "ein Gerücht", dass es in Zukunft einheitliche Landesgesetze zum Maßregelvollzug geben soll.

Bis dahin gehen die Initiativen weiter in alle Richtungen. Wenn Jörg Schönbohm das "Begutachtungssystem" ändern und damit mehr Sicherheit erreichen will, muss er Hürden für die Überzeugung der Gutachter aufbauen. Praktisch heißt das: Die "Gefährlichkeitsprognose", bislang weitgehend den Ärzten überlassen, wird künftig einer stärkeren Kontrolle unterzogen, vielleicht sogar einer richterlichen. Dann wäre das System dort angekommen, wo es Politiker wie der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Geis (CSU), auch haben wollen: Unter Aufsicht der Justiz, womöglich in der Zuständigkeit des Justizministeriums.

Der Brandenburger Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) hat am Freitag für sein Land eine andere Lösung vorgeschlagen. Externe Gutachter sollen bei den "Lockerungsstufen" mitentscheiden. Das Brandenburger Sozialministerium betonte, der Maßregelvollzug liege in der Hand der Gesundheitsbehörden vollkommen richtig. Schließlich handele sich um kranke Menschen, die der Heilung bedürfen.

Doch nur Bekenntnisse helfen nicht. Allein in Brandenburg gab es 34 Ausbrüche aus dem Maßregelvollzug in den letzten sechs Jahren. Wird Frank Schmökel bald gefasst, bleibt es vermutlich bei den "kleinen Lösungen" im Schutz der Allgemeinheit vor psychisch kranken Straftätern. Vielleicht sollte man sich in Potsdam trotzdem die "Lockerungsstufen" genauer ansehen. Von "Wahrnehmung aller Möglichkeiten zur Fluchtverhinderung" ist da nur bei Stufe eins bis drei die Rede. Vielleicht sollte man dies zunächst einmal auch bei Stufe vier hineinschreiben.

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