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Kultur: Der Feind steht neben dir

Tugan Sokhiev und das DSO spielen Prokofjew.

Die Bedrohung kündigt sich mit dunkel grummelnder Tuba an. Feinde stehen vor Russlands Tür. Sergej Prokofjew hat mit der Kantate „Alexander Newski“ (1938), ursprünglich geschrieben für Sergej Eisensteins Film, zwar unerträglichen Propagandakitsch geschaffen, aber auch eine raffiniert instrumentierte Musik. Den mittelalterlichen deutschen Invasoren ist grobschlächtiges Blech und Schlagwerk zugeordnet, den russischen Heimatverteidigern wendige Streicher und ein folkloristisch ausdifferenziertes Klangbild. Tugan Sokhiev dirigiert das Deutsche Symphonie-Orchester, dessen Chef er ab Herbst sein wird, in der Philharmonie mit wohldurchdachter, galanter Gestik. So hat er die massive Klanggewalt dynamisch im Griff. Nur im Siegesfinale kann oder will er die Kraftströme nicht länger im Zaum halten, da wird es auch mal arg laut.

Der Rundfunkchor singt mit eindrücklicher Präsenz der Stimmen, Kontraaltistin Ewa Podles steigt beim anschließenden Gang über das Totenfeld, der einzigen Solopassage des Stücks, in rotglühende Verzweiflungstiefen hinab. In den Anfangssätzen von Schostakowitsch’ vierter Symphonie gelingt den Streichern dann eine nahezu mathematische Präzision, die gut zu dieser mechanischen Musik passt. Konzertmeister Bernhard Hartog liefert ein elegisch singendes Solo, Sokhiev führt das Orchester in flirrenden Presto-Wirbel. In den beträchtlichen Längen des letzten Satzes vermag auch er die Spannung nicht zu halten. Grotesk kreist hier die Musik um sich selbst.

Vielleicht liegt es daran, dass der Satz nach dem notorischen „Prawda“-Artikel entstand, in dem vermutlich Stalin höchstselbst Schostakowitsch brandmarkte. Und dem Komponisten damit klarmachte: Der Feind steht nicht nur vor der Tür. Gefahr droht auch von den eigenen Landsleuten. Udo Badelt

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