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DER feine UNTERSCHIED: Beuys oder Boyce

Nicola Kuhn verknüpft ganze Künstlergenerationen

Der feine Unterschied zwischen Beuys und Boyce beträgt 47 Jahre – zumindest was ihre Jahrgänge betrifft. Mag der gleichklingende Name des schottischen Bildhauers mit Wohnsitz Berlin auch Verwirrung stiften, zu verwechseln mit dem bedeutendsten deutschen Nachkriegskünstler ist er nicht. Und doch lässt sich durch Gegenüberstellung dieser unterschiedlichen Größen einiges über aktuelle Kunst erklären. Denn Martin Boyce gehört zu jenen Neomodernen, die seit einigen Jahren im Kunstbetrieb als Gegenbewegung zur bejubelten figurativen Malerei eine Rolle spielen.

Boyce unterzieht die Zweite Moderne, das coole Design der Fünfziger, einer kritischen Revision, also jene Zeit, in der Joseph Beuys seine schamanistischen Ausdrucksformen entwickelte, die ebenfalls auf Distanz zur Nüchternheit der damals aktuellen Einrichtungsgestaltung gingen. Doch der zuletzt mit dem Krefelder Adolf-Luther-Preis ausgezeichnete Schotte macht keineswegs gemeinsame Sache mit dem legendären Fett-und-FilzSkulpteur vom Niederrhein, dessen zwanzigster Todestag 2006 kaum größere Resonanz hinterließ. Er benutzt stattdessen die Versatzstücke berühmter Designobjekte und arrangiert sie neu. Zu seinen poetischsten Werken gehört ein Mobile aus Elementen des berühmten Ameisenstuhls von Arne Jacobsen, das bei ihm sanft schaukelnd an der Decke hängt.

Eine solche Re-Interpretation wäre für den ein halbes Jahrhundert zuvor wirkenden Joseph Beuys undenkbar gewesen. Dem Krieg gerade entronnen, musste er sich und seine künstlerische Sprache regelrecht neu erfinden, auch wenn er bei den Tartaren, die ihn nach seinem StukaAbsturz angeblich retteten, wichtige Anleihen nahm. In der Person von Beuys wird der erklärte Anspruch auf Selbstbehauptung, auf allumfassende Sinnsuche, ja das ganze Pathos einer Künstlerfigur sichtbar. Sein zwei Generationen später geborener phonetischer Namensvetter ist dagegen ganz Kind der Postmoderne und bedient sich nur noch vorgegebener Materialien, um seine Position zu klären. Das geschieht eher unspektakulär und dafür umso nachhaltiger: Bei den SkulpturProjekten in Münster muss der Besucher Martin Boyce erst finden, dort hat er auf dem ehemaligen Zoogelände aus Bodenplatten ein Muster ausgelegt, das die Grundform abstrakter Betonbäume aus den zwanziger Jahren zitiert. In den Zwischenräumen sind aus Messingbändern Buchstaben gebildet, die den Satz „Wir sind still und reflektieren“ ergeben.

Beuys hätte stattdessen sicher eine Performance gemacht. In Münster schuf der Guru übrigens eine seiner größten Fettskulpturen, die heute im Hamburger Bahnhof zu sehen ist. Als Model diente eine Fußgängerpassage. Zumindest in diesem Sommer sind sich Beuys und Boyce einen Moment lang nah.

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