zum Hauptinhalt

DER feine UNTERSCHIED: Jules oder Jim

Christina Tilmann will sich nicht entscheiden

Die Namen sind Programm. Der weiche Anlauf, das zögernde, langgezogene Ü, das im Tonlosen verebbende L von Jules. Und das scharfe I im Jim, das zusticht wie ein Pfeil, zusätzlich angespitzt durch das D vor dem J. „Nicht ,Schimm’, ,Dschimm’“ korrigiert Catherine ganz am Anfang. ,Schimm’ wäre wie ,Schüüülll’. ,Dschimm’ ist etwas anderes.

Jim ist der Traum vom Glück, der sich nie erfüllt. Das Möglichkeitsprinzip. Gutaussehend, aktiv, optimistisch, immer auf dem Sprung. Der Elegant mit Zigarette, Paletot und Schnurrbart, Koffer in der Hand. Kommt und geht und kann nicht eine Nacht in einem Bett bleiben. Treibt sich herum, immer auf Reisen, ein Siegertyp, der bekommt, was er will. Doch wenn man sich nach ihm sehnt, ist er nicht da.

Jules, das ist die Wirklichkeit, Familie, Kinder, Haus auf dem Land. Blond, klein, rundes Gesicht, schüchtern. Treu, immer verständnisvoll. Nie eifersüchtig, ein guter Familienvater, nie streitet er sich, nicht, dass er jemals die Stimme erhöbe. Lebt wie ein Mönch, bescheiden, asketisch. Beruf: Insektenforscher. Jim ist eine kurze, heiße Nacht. Jules ist immer da.

Doch stimmt es, dass Jim das große Abenteuer verkörpert und was spannend ist im Leben, und Jules den Spießer, den Langeweiler, das Mittelmaß? Misstrauisch wird man spätestens, wenn man Oskar Werners Stimme hört, die österreichisch getönte Originalstimme, in dem ansonsten französischsprachigen Truffaut- Film, und er liest einen Liebesbrief an Catherine, und diese dunkle, weiche, zögerliche Stimme, diese typische Jules-Stimme, lockt und streichelt, dass einem die Haare im Nacken zu Berge stehen.

Jules ist der wirkliche Extremist. Seine Liebe, die aushält, auch wenn sie betrogen wird, die dauert, wo sie längst enden soll, ist die utopische Liebe, unschuldig, nicht von dieser Welt. Und Jims unstete Liebe, die sich nie entscheiden kann, aufflackert und erlischt, taktiert und spielt und im wichtigsten Moment zu lange zögert und versagt, ist die reale Liebe, die weltliche, banale. Sie kennen wir. Von Jules’ Liebe träumen wir.

Jules oder Jim, das ist: Familie oder Affäre. Provinz oder Paris. Wald oder Welt. Am Ende auch: Weiterleben oder Sterben. Und Jeanne Moreaus Tragik als Catherine ist, dass sie gar keine Alternative sieht zwischen Jules und Jim. Dass sie beide haben will und auf einmal. Nicht Jules oder Jim lautet die Frage. Jules und Jim, das ist die Kunst.

Christina Tilmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false