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Schauspieler und Regisseur: Jean-Paul Rouve, 48.

© Imago Panoramic

Regisseur Jean-Paul Rouve im Interview: „Ich spreche nur von dem, was ich sehe"

Mit "Zu Ende ist alles erst am Schluss" startet erstmals einer seiner Filme in Deutschland: Jean-Paul Rouve im Gespräch über Inspiration durch die Wirklichkeit, über französische Kino-Hits - und über Eltern, die lebenslang Kinder bleiben.

Grundsatzfrage: Ist ein Film für Sie eher ein Kunstwerk oder ein Produkt?
Ein Kunstwerk, zu 100 Prozent. Schon in der Art zu denken, zu arbeiten. Künstler versuchen, das Leben einzufangen und widerzuspiegeln, ihm einen Augenblick zu stehlen. Darum bemühe ich mich.

Sie haben das Drehbuch mit dem Bestsellerautor David Foenkinos verfasst. Das nährt eher die Vermutung, Ihnen sei an einem Hit-Produkt gelegen.
Vorsicht, Bestsellerverfilmungen, die Riesen-Hits einmal ausgenommen, funktionieren nicht unbedingt. „Les souvenirs“, meine Filmvorlage, verkaufte sich gut, war aber kein Bestseller wie Foenkinos‘ „La délicatesse“. Mich interessierte auch gar nicht so sehr das Thema, sondern das Basismaterial. Den Roman bloß filmisch abzubilden, ist uninteressant. Ich will das Wesentliche erkennen und das Buch dann in gewisser Weise verraten, zugunsten seiner Essenz, seines Parfums. So haben wir Drehbuchschreiber uns zwangsläufig von der Vorlage entfernt, nach meinen Wünschen, meinen Überlegungen.

Inwiefern?
Wir haben das Komödiantische verstärkt. Ich wollte Pathos vermeiden und ein Gleichgewicht zwischen tiefem Gefühl und Komödie, ganz wie im Leben.

Um die Traurigkeit auszuhalten, muss man lachen, ist es das?
Ja, man wechselt doch dauernd zwischen Lachen und Weinen. Auch nach sehr tragischen Ereignissen, denken Sie an die Januar-Morde bei uns in Frankreich, machen Humoristen nach drei Tagen die ersten Scherze darüber. Das schmälert die Trauer ja keineswegs. Nur das Leben triumphiert eben.

Wie wichtig ist Realismus für Sie? In Ihrem Film gibt es eine unverbrüchliche Harmonie zwischen Großmutter und Enkel. Das Elternpaar, die Generation dazwischen, karikieren, ja versimpeln Sie eher.
Das finde ich nicht. Ich spreche nur von dem, was ich sehe und will auch nur von Dingen schreiben, die ich kenne. Ich kann da nichts extrapolieren. Die Filmcharaktere, die mich inspirieren, sind mir aus dem wirklichen Leben vertraut. Auch das Großeltern–Enkel-Verhältnis ist doch ganz realistisch abgebildet. Als ich klein war, waren Oma und Opa sehr alte Leute, sie saßen irgendwo in einer Ecke. Heute sind Großeltern viel gesünder als damals, viel besser in Form. Mir wurde auch klar, die heutigen Franzosen um die 60 sind viel mehr die Kinder ihrer Eltern als die Eltern ihrer Kinder.

Steile These: Wie erklären Sie sich das?
Das kommt von deren eigenen Eltern. Die haben die harten Kriegszeiten erlebt und zum Ausgleich ihre eigenen Kinder in einer Art Kokon gehalten und beschützt. Und die sind dann später als Eltern selber nie richtig erwachsen geworden. Für die jung erwachsenen Enkel wiederum bedeutet das, dass ihre Eltern halb Eltern und halb Kinder sind.

Da spitzen Sie gegenüber dem Roman aber ziemlich zu.
Wir haben überhaupt viel verändert. Der Vater, den Michel Blanc spielt, ist im Roman viel unwichtiger, und die Mutter ist depressiv und geht ins Altersheim. Ich wollte sie aber als normale Frau, die ihren Mann mit ihrer Offenheit ein bisschen durcheinanderschüttelt.

Ihr Blick scheint doch eher individuell als industriell. Anfangs sah ich Ihren Film klar in einer Linie mit dem neueren populären französischen Kino, das nur auf Knöpfe drückt, um Emotionen auszulösen. „Ziemlich beste Freunde“, neuerdings „Verstehen Sie die Béliers?“, früher schon „Willkommen bei den Sch’tis“ …
Die drei Filme können Sie nicht in einem Atemzug nennen, nur weil sie erfolgreich sind. Erfolg allein rückt Filme nicht zusammen, das sind bloß drei französische Hits, weiter nichts. Allenfalls „Monsieur Claude und seine Töchter“ hat, als eine Art Märchen, eine gewisse Ähnlichkeit mit den „Sch’tis“.

Gemeinsam ist diesen Filmen aber, dass Minderheiten darin immer irgendwie sympathisch sind. Die Nordfranzosen, die Gehörlosen, die Ausländer, die Leute im Rollstuhl. Da wird viel mit Klischees gearbeitet, vor allem mit den Mitteln des Humors.
Da vereinfachen Sie aber. Ich fühle mich diesem Kino selber auch nicht sehr nah – am ehesten noch den Machern von „Ziemlich beste Freunde“, vom intellektuellen Arbeitsaufwand her, mit dem die Beziehungen entwickelt werden. Meine Filme wollen so nah wie möglich an der Realität sein. Wenn jemand in 30 Jahren den Film sieht, soll er sagen können, aha, so also war Frankreich im Jahr 2015. Ich möchte mich nicht mit Claude Sautet messen, aber so wird er heute wahrgenommen – als einer, der die Bourgeoisie der 1970er Jahre treffend abgebildet hat.

Wo sehen Sie denn das französische Kino in zehn Jahren? Als Garant für Massenunterhaltung auf ordentlichem Niveau?.
Es wird so sein wie immer. Alle halbe Jahre gibt es ja Prognosen, mal in diese und mal in jene Richtung. Aber schon vor Jahrzehnten, und das macht den Reichtum unseres Kinos aus, existierten Louis de Funès und Maurice Pialat friedlich nebeneinander.

Zum Schluss noch ein Wort zum deutschen Titel „Zu Ende ist alles erst am Schluss“?
Als wir davon hörten, waren David und ich schon sehr erstaunt. Zumal sein Buch in Deutschland unter dem Titel „Souvenirs“ erschienen ist. Da hatte wohl jemand eine Inspiration, das hat mich sehr amüsiert. Aber so ist das nun mal: Wenn der Film raus ist, gehört er einem nicht mehr. Und wenn er dann im Ausland startet, noch weniger.

Das Gespräch führte Jan Schulz-Ojala.

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