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Kultur: Der Fremde hat ein Messer

Chinua Achebe erhält heute in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In seinen Büchern erzählt der Nigerianer vom schweren Aufbruch der ehemaligen Kolonien in die Moderne

Von Caroline Fetscher

Wer erzählen kann, hat Macht. Gegen Ende des Bürgerkrieges in Algerien ließ die Kolonialverwaltung die traditionellen Geschichtenerzähler verhaften. Die Franzosen hatten erkannt, dass die Griots Nachrichten in ihren Sprechgesängen verbreiteten. Wer erzählen kann, besitzt eine Waffe, und die wurde in Afrika, dem Kontinent der Erzählkultur, besonders gefährlich für die Mächtigen. Noch im afro-amerikanischen Rap ist die Ermächtigung durch Erzählen enthalten.

Als Chinua Achebe im November 1930 in Nigeria zur Welt kam, war um ihn herum die erste, große Geschichte längst gewachsen, die er später als Absolvent der Missionsschule und der Universitäten in Ibadan und London aufgeschrieben hat. Der Debütroman des Autors, der heute in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, war wie eine Explosion. In „Okonkwo oder Das Alte stürzt“ (im Suhrkamp Verlag) lässt der Achtundzwanzigjährige 1958 die beginnende Kolonialisierung der Großväter und Urgroßväter durch die Briten am Ende des 19. Jahrhunderts auf eine Art lebendig werden, wie das kaum einem Autor zuvor gelang.

Dazu gehörte ein sprachlicher Kunstgriff: Achebes Dorfgemeinschaft von Umuofia spricht ihre eigene Sprache, Ibo – neben Yoruba und Haussa eine der wichtigsten Landesspachen Nigerias. Dennoch ist der Roman auf Englisch verfasst. Gewissermaßen „auf Ibo“ gibt er gleichwohl Redeweisen, Sprichwörter, die Beschreibung von Sachverhalten wieder. Das Englische bildet lediglich eine Brücke, auf der die Leute von Umuofia ans Ufer der weiteren Welt gelangen. So umschifft Achebe eine Klippe, die alle afrikanische Literatur bedroht. Denn wo die großen Schriftsprachen im Gepäck der Missionare, Händler, Soldaten und Gouverneure ankamen, sind sie selbst Ausdruck des Kolonialen. Achebe aber lässt unter dem Englischen noch seine Muttersprache sichtbar und hörbar werden. Auf Ibo zu schreiben, hätte die Wirkung von vornherein eingeengt. So aber wurde „Okonkwo“ in 45 Sprachen übersetzt. „Aus Korea schrieb mir damals eine Mädchenklasse, dass sie dort die Kolonialgeschichte als Metapher ihrer eigenen lesen“, erzählte Chinua Achebe. „Sie identifizierten die Briten mit den Japanern.“ Aus Zorn auf die Klischees der Kolonialliteratur, auch auf Joseph Conrads „Herz der Finsternis“, habe er sein Buch geschrieben.

Wo Achebe in klarem Stil, ohne Arabesken und Sentimentalität die Leute von Umuofia sprechen lässt, sind sie nicht die sich Pidgin-English verhaspelnden, deklassierten „Boys“ , wie sie die Kolonialromane seit über einem Jahrhundert bevölkerten. Aber sie sind auch nicht die von Leopold Sedar Senghor, dem Ahnherrn der „Négritude“ und (Friedenspreisträger von 1968), entworfenen idealisierten, schwarzen Helden.

Achebes Dorfwelt der Yamsbauern, mit ihren Festen und Hochzeiten, in die die Kolonisation sich mit Hilfe der Missionare einschleicht, ist keine heile Sphäre des Folkloristischen. Okonkwo, der wohlhabende Bauer, schlägt zwei seiner Frauen, er nimmt teil am Ritualmord eines Jungen, den das Nachbardorf aus Sühne hatte hergeben müssen, um einen Krieg zwischen den Dörfern abzuwenden. Jener Junge war zum Herzensfreund seines Sohnes geworden, der die Bluttat nicht begreifen kann. So läuft der Sohn, der den Namen Isaak annimmt, den wundersamen Missionaren geradewegs in die Arme.

Von rituellen Regeln, von Tabus und Opferforderungen wird das Dorf zusammengehalten. Alles Glück, das spürbare, das von Ernte zu Ernte, von Marktwoche zu Marktwoche den Rhythmus angibt, fußt auf dem ins Rituelle gekleideten, forcierten Unglück. Und Achebe verschweigt nicht die Widersprüche, die Grausamkeiten dieser Gesellschaft – so wenig wie die Erleichterung, die die Aufklärung durch die Christen zunächst bringt. Echtes Elend, tief verstörendes Leid, trifft die Gesellschaft erst, als sich zu den Missionaren die Verwaltung der Kolonialherren gesellt, deren Gerichtsbarkeit voller Verachtung und Willkür ist. Okonkwo verstößt den Sohn und geht am Konflikt zwischen zwei Welten zugrunde. „Der Fremde hat ein Messer an die Dinge gelegt, die uns zusammenhielten, und so sind wir auseinandergefallen.“

Was Achebe 1958 erzählend begonnen hatte, setzte er 1960, dem Jahr der Unabhängigkeit Nigerias, mit „Heimkehr in fremdes Land“ (Suhrkamp; Originaltitel: „No longer at Ease“) in einer radikal veränderten Atmosphäre fort. Obi, der Sohn Isaaks, der Enkel Okonkwos, hat in England Literatur studiert und wird, zurück in Lagos, als Gelehrter gefeiert. In der Stadt kommt Obi rasch an einen Posten bei einer Behörde. Das Land hat sich verwandelt, es ist umgekrempelt. Statussymbol ist nicht mehr die Zahl der Scheunen voller Yams, sondern die Automarke. Doch alle Städter unterstützen ihre Familien auf dem Land, das ist selbstverständlich. Und teuer. Kaum ein Beamter, der nicht für kleine Dienste etwas in die eigene Tasche steckt. Obi, der sich für moralisch und gebildet halten darf, verachtet die Korruption – und erliegt ihr am Ende selbst. Der Neokolonialismus hat sein Werk getan, die Elite der „neuen Afrikaner“ imitiert die Bourgeoisie der Herren von einst .

Als Obi heiraten will, stellt sich heraus, dass seine Geliebte, die Krankenschwester Clara, eine „Osu“ ist, sie gehört einer Kaste an, mit der seine Leute niemals eine Verbindung eingehen dürfen. Nicht einmal sein christlicher Vater stimmt zu. Obi Okonkwo, dessen Leben eben begonnen hatte, als Protagonist einer Generation der Zukunft, ist ähnlich zwischen Zwängen zerrieben wie sein Großvater, mit dem das Epos begann. Achebe hatte mit seinem zweiten Roman sein Lebensthema gefunden, wie es auch in seinem jüngsten Werk „Termitenhügel in der Savannne“ zu finden ist: Korruption und neue Elite, Beamte und Militärs zerstören den Hauch demokratischer Hoffnung.

Chinua Achebes Durchbruch bescherte ihm als Stipendiat der Unesco Reisen in viele Teile der Welt. Anfang der 70er Jahre hatte er Rang und Ruhm erreicht, und erhielt Gastprofessuren, unter anderem in Harvard. In seinem eigenen Land, das von Staatsstreichs, Biafrakrieg und Diktatur geschüttelt war, betrachteten ihn die Mächtigen mit zwiespältigem Empfinden. Schließlich emigriert Achebe, der heute an der Bard University (New York State) lehrt. Seit er vor zehn Jahren einen schweren Autounfall hatte, braucht Achebe einen Rollstuhl und medizinische Betreuung. Als der Autor 1999 zum ersten Mal wieder Nigeria besuchte, hatte man am Flughafen seinen Rollstuhl vergessen. „Sie suchten lange herum, bis sie ihn fanden. Es ist nicht mehr das Nigeria, das ich kenne,“ sagte er im Radio, mit müder schwerer Stimme.

Als Clara und Obi Okonkwo in „No longer at Ease“ auf der Überfahrt von Liverpool nach Lagos den Golf von Biskaya überqueren, beschreibt Achebe die Atmosphäre verheißend und dräuend in einem: „Das Meer verschmolz in der Ferne nun nicht mehr mit dem Himmel, sondern hob sich in tiefem, schwarzen Kontrast ab, gleich einer riesigen, asphaltierten Startbahn, auf der man sich wohl Gottes Flugzeug vorstellen konnte.“ Oder die Landebahn von Achebes Geschichten. Denn sein Erzählen kann den Horizont berühren und zugleich dessen Linie ziehen.

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