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Kultur: Der Fremde im Spiegel

Der französische Fotograf JR beklebt Berliner Wände mit Fotos von Israelis und Palästinensern

Wer derzeit rund um den Checkpoint Charlie läuft, kann sie kaum übersehen: riesige Schwarzweißfotografien, Porträts von Grimassen schneidenden Menschen. Schonungslos nah, mit einem 28 Millimeter Weitwinkelobjektiv, fotografierte der französische Aktionskünstler JR seine israelischen und palästinensischen Protagonisten. Wir sehen wilde Augenbrauen, schiefe Zähne, tiefe Falten und eine große Ähnlichkeit zwischen den verfeindeten Nachbarn.

„Face 2 Face“ heißt das „28 Millimeter Projekt“ des 24-jährigen JR. Mit seinen Porträts plakatierte er bereits die Sicherheitsgrenzmauer auf der israelischen wie auf der palästinensischen Seite und klebte sie im Zentrum von Städten wie Hebron, Ramallah, Jericho und Bethlehem an Hausfassaden. Israelis und Palästinenser gleicher Berufsgruppen wurden so von Angesicht zu Angesicht konfrontiert, der fremde Nachbar als Spiegelbild.

Die Porträtierten zeigen Selbstironie, sie schneiden Grimassen, die sie anonymisieren. Es bleibt unklar, wer Palästinenser ist und wer Israeli, auch die Berufe kann man nur erraten. Selbst ein Imam, ein Rabbiner und ein christlicher Priester blähen Backen, schielen und lachen gespielt verrückt in die Kamera. Der islamische Geistliche Cheikh Aziz gab dem Fotografen JR sogar den Kontakt zu dem Rabbiner Reb Eliyahu in Haifa. „Er sagte, er wäre ein guter Freund von ihm“, sagt JR. „Letztendlich wollen alle Frieden und sind den Hass leid.“

Es sei nie schwierig gewesen, die Menschen zu überzeugen, sich fotografieren zu lassen, erzählt der Fotograf: Insgesamt 41 wurden porträtiert. „Auf unserer Reise entdeckten wir so viele Gemeinsamkeiten unter den Leuten und eine extreme Neugier aufeinander“, sagt JR. „Sie sehen gleich aus, sie reden fast gleich, sie verhalten sich gleich, und sie fragten nach ihren Nachbarn.“ Auch mit den Ordnungshütern gab es nur wenig Konflikte. Einmal wurde der Fotograf in Hebron von der israelischen Polizei festgenommen. „Doch selbst dort konnte ich von meiner Idee überzeugen, und sie ließen mich gehen. Allerdings sollte ich nicht mehr in Hebron plakatieren“, sagt JR. „Daran habe ich mich natürlich nicht gehalten.“

Mehr als sein Kürzel verrät der Künstler nicht von seinem Namen. Wird er fotografiert, trägt JR Hut und Sonnenbrille. „Ich müsste eine Menge Strafe zahlen, würde ich meine Identität verraten“, sagt er und grinst. Er weiß, dass er nur unerkannt mit der Illegalität seiner Kunst kokettieren kann. Auch wenn viele Hausbesitzer und Grundstücksverwalter positiv auf JRs „Open-Space“-Galerie reagieren, sind längst nicht alle Hauswände legal beklebt. „Ich versuche immer, die riesigste Wand zu erwischen“, sagt JR. Um so wenig wie möglich mit der Polizei konfrontiert zu werden, arbeiten der Fotograf und sein Team bevorzugt nachts. „Am Checkpoint Charlie hätten wir fast mit dem Kleben aufhören müssen und eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch bekommen“, erzählt JR.

„Face 2 Face“ ist bereits das zweite Foto-Projekt, das mit Porträts arbeitet. Für „Porträt einer Generation“ fotografierte JR im Herbst 2005 in den von Unruhen aufgewühlten Pariser Vorstädten Montfermeil und Clichy-sous-Bois. Er holte sich wild blickende Jugendliche vor die Kamera und hing der Pariser Bourgeoise die wütenden Gesichter neben Louis Vuitton-Anzeigen. JR liebt das Spiel mit Klischees. Mit seinen BanlieuePorträts wollte er den Menschen das Bild der Jugendlichen servieren, das sie durch die Berichterstattung bereits erwarteten. „Nur rechneten sie nicht damit, dass sie es genau so bekommen“, sagt er.

In Berlin am Checkpoint Charlie werden JRs Bilder zu einem Mahnmal. „So, wie die Mauer in Berlin fiel, soll auch die Mauer im Nahen Osten fallen“, sagt er. Seine Bilder lässt er so lange hängen, bis sie irgendjemand abnimmt oder das Wetter sie zerfurcht.

In der Friedrichstraße 210 sind die Porträts von JR ausgestellt. Hier liegen auch kostenlose Stadtpläne für den Rundgang aus. Die Ausstellung im Raum 210 ist bis zum 6. Oktober geöffnet.

Yoko Rückerl

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