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Der Autor Nis-Momme Stockmann

© dpa-bildfunk

"Der Fuchs" von Nis-Momme Stockmann: Das Tier, das die Welt aß

Risikofreudiges literarisches Experiment: Der Theaterautor Nis-Momme Stockmann legt mit „Der Fuchs“ seinen Debütroman vor.

Apokalypse liegt wieder groß im Trend. Thomas von Steinaecker schreibt einen raffinierten Survivalroman, der in einem verwüsteten Europa voller Mutanten spielt; bei Karen Duve geht die Welt in Hamburg vor die Hunde. Auch Nis-Momme Stockmann lässt Sturmfluten zu hoher Form auflaufen und den Weltuntergang in einem friesischen Küstenkaff mit dem symbolträchtigen Namen Thule beginnen. Während Duves „Macht“ jedoch kaum mehr als ein klimawandelfeministisches Pamphlet in Romanform ist, zieht Stockmanns „Fuchs“ seine Leser tief hinein in ein furchterregendes Szenario.

Der Deich ist gebrochen, die wilden Meere hupfen an Land. Was eben noch gesicherter Wohlstand schien, ist von einer Minute auf die andere geschreddertes Treibgut. Die Hauptfigur Finn Schliemann, etwa 30 Jahre alt, rettet sich mit seinem Jugendfreund Dogge und dessen Freundin Jütte auf ein Hausdach. Die Rahmenhandlung des Romans beschreibt ihren Überlebenskampf, der bald zum Kampf gegeneinander wird – phantasmagorische letzte Tage der Menschheit.

Auf der Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit

Aber der siebenhundert Seiten starke Roman ist damit erst am Anfang, und fortan geht es hauptsächlich um die Vorgeschichte des Desasters. Eine friesische Provinzjugend voller Furcht und Schrecken wird rekapituliert. Das beginnt mit Finns Familienverhältnissen. Sehr traurig: Der Vater stirbt früh einen ominösen Tod, der kleine Bruder Reini ist geistig behindert und manchmal sehr destruktiv, die Mutter fertig mit den Nerven und Kettenraucherin. Finns kleiner Freundeskreis fügt sich in das derangierte Bild, von den „inzestuösen Schmalzfressen“, „vegetierenden Verlierern“ und „Gartennazis“ im Kaff ganz abgesehen. Finn bleibt wenig außer seiner Kamera, die er immer mit sich trägt.

Eines von Stockmanns Stilmitteln ist die erzählerische Zeitlupe. Sehr raumgreifend und intensiv schildert er prägende Geschehnisse aus den neunziger Jahren: das Aufeinandertreffen des zehnjährigen Finn mit den Albtraumgestalten von Thule, den Baschi-Brüdern – asozialen Schlägern, Sadisten, Tierquälern, Schmerzexperten. Sie leben in einem containerartigen Bau, einem „bewohnbaren Pranger“. Und sie wirken so, als wären sie von fernher beauftragt, den Leuten einen anschaulichen Begriff des Bösen zu geben. Des Bösen, das immer deutlicher seine Zeichen in Thule setzt: Menschen, die keines ganz natürlichen Todes sterben; ein abgetrennter Arm auf dem Deich, der von niemandem vermisst wird. Und überall finden Finn und seine Freude das ominöse Symbol eines Doppelkreises mit Strich. Das Verhängnis scheint sein Wurzelgeflecht tief unter Thule zu haben.

Hut ab vor Stockmanns Sprachmacht

Auf der anderen Seite gibt es Katja, ein charismatisches, rätselhaftes Mädchen, das gerade zur rechten Zeit auftritt. Zum Beispiel rettet sie Finn vor den Attacken der Baschis. Sie macht die sadistischen Burschen handzahm und schickt sie an den Strand; da sollen sie mal herzförmige Steine für sie suchen. Und sie hat ein geheimes Wissen über hintergründige Verschwörungszusammenhänge.

Finn lässt sich anstecken von ihrer Faszination für die Hinterwelt, aber ihm ist nicht klar, wo die Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit verläuft. Gibt es „das Büro“, wo die Fäden zusammenlaufen? „Everything is connected“, weiß die Handywerbung. Aber vielleicht gilt für Katja das Gesetz der Verschwörungspsychologie: Menschen, die sich ohnmächtig fühlen, müssen sich in größere Zusammenhänge hineindichten. Irgendwann landet das Mädchen jedenfalls in der Psychiatrie, Finn trifft eine Mitschuld, da erweist er sich als falscher Fuchs. Von da an sieht es nicht gut für ihn aus. Nis-Momme Stockmanns bildkräftige Prosa schafft ein Angstszenario, das es mit Lovecraft oder David Lynch (das abgeschnittene Ohr in „Blue Velvet“) aufnehmen kann. Hut ab vor der Sprachmacht, mit der er einen Giganten über anderthalb Seiten beschreibt oder Finns Albträume voller Horrorkäfer: Da schleicht sich die schaurige Gestalt eines „Klingenmannes“ nachts in die Wohnung und sticht der schwangeren Mutter mit nadeldünnen Fingern in den Bauch; bald darauf wird der geschädigte Bruder geboren. Wunden sehen aus „wie die weit geöffneten Münder aus voller Kehle singender Chorknaben“. Ganz schön schräg das alles.

Hier grüßt auch Alfred Döblin

„Fuchs frisst Weltraum“ heißt ein Lied, das man auf YouTube hören kann und zu dem Stockmann den Text beigesteuert hat. Und der Titel des Stückes, mit dem sich der 1981 auf Föhr geborene Autor einen Namen als Dramatiker gemacht hat, klingt nicht weniger ausgehungert: „Der Mann, der die Welt aß“. Solche omnivoren Fantasien klingen komisch und apokalyptisch zugleich, und diese Mischung kennzeichnet auch den Roman, in dem der weltverschlingende Fuchs das Leitmotiv ist. Mit dem Drang ins Üppig-Epische wird eine ganze Reihe von Nebenhandlungen serviert, die alle verknüpft sind mit dem Verschwörungsnetz. Mal befindet man sich mit geschundenen Deichbauarbeitern im Jahr 1792 (als es auch schon eine archetypische Baschi-Familie gab, witzig!), mal in der Zeitenferne einer kosmischen Schöpfungsburleske rund um die babylonischen Gottheiten Tiamat und Marduk, die im Ton von Kybernetik und Systemtheorie über die Reduktion von Komplexität und die Verringerung des Betreuungsaufwandes für die noch gar nicht geschaffene Spezies Mensch schwafeln.

Alfred Döblin, der ebenfalls gern über diese allzu menschlichen Göttergestalten fabuliert hat („Babylonische Wandrung“) lässt grüßen, aber so amüsant sich das bisweilen liest, dieser Strang ist entschieden zu weitschweifig geraten.

"Der Fuchs" ist eine mächtige Talentprobe

Der Roman ist groß entworfen im ersten Drittel, doch wohin soll das alles führen? Es brodelt in einem Dutzend Töpfen, und der beste Koch könnte daraus kein abgerundetes, geschmackssicheres Menü fertigstellen. Auch der Spannungsbogen hängt in der zweiten Hälfte ziemlich durch, streckenweise verfranst sich der Roman in entbehrlichen Reflexionen: Da wird wild drauflosgeschossen und Meinung gemacht, aber nur selten getroffen. Vor allem aber ist die Ästhetik des Hässlichen und Ekelhaften ein schmaler Grat.

Stockmann rutscht einige Male ab ins Degoutante, etwa wenn er Finn am Ende in den Eingeweiden seines Freund-Feindes wühlen lässt, auf der Suche nach … nun, das sollte man nicht verraten. „Das Schöne ist nur dann schön, wenn es vom Hässlichen gewürgt wird“, heißt es programmatisch an einer Stelle. „Ich stelle mir vor, dass ein rotes Telefon im Schlafzimmer des Schlachters klingelt und er über eine Stange eine Etage herunterrutscht – geradewegs zu seinem Bereitschaftsfleischwolf“ – dieser Bereitschaftsfleischwolf wird vielleicht ein wenig zu oft gedreht.

Aber bei allen Schwächen und Unausgegorenheiten ist „Der Fuchs“ eine mächtige Talentprobe, ein Romandebüt mit atemberaubenden Passagen und effektsicheren Dialogstrecken, bei denen der Theaterautor Nis-Momme Stockmann sein Können ausspielt. Leser, die risikofreudige literarische Experimente lieber als makellose Werke mögen, kommen auf ihre Kosten.

Nis-Momme Stockmann Der Fuchs. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2016.718 Seiten, 24,95 €.

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