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Kultur: Der Galaktische

Beethoven im Konzerthaus: Symphonien, Quartette, Klaviersonaten – zwölf Stunden lang.

Wie langsam Iván Fischer die Einleitung zur 4. Symphonie dirigiert! Man spürt, da will jemand jeden Takt dieses schwebenden Gebildes auskosten, das gleich seinem ersten Ton B durch die nachfolgende Terz jede tonale Eindeutigkeit entzieht und erst nach mehrmaligem Hin- und Herwenden plötzlich, schockhaft zu seiner Haupttonart findet. Bei Beethoven fühlt sich Fischer zu Hause, das kann man an seinem heiteren Lächeln und an der wippenden Turngestik ablesen, mit der er sein Konzerthausorchester durch den Abend führt. Den ganzen Samstag hat er – deklariert als „Beethoven-Marathon“ – dem Klassiker gewidmet und bereits am Vorabend mit der Vierten und der Siebten darauf eingestimmt. Viel falsch machen kann man bei so einem Programm nicht, welch’ anderer Komponist würde selbstverständlich die Säle füllen, von morgens bis abends? Was die Musiker abliefern, ist dennoch keineswegs verzopft, der Streicherklang schimmert glutvoll wie flüssige Lava. Bis auf einige ungewöhnliche agogische Verzögerungen entdeckt Fischer allerdings wenig Neues in den Partituren: ein hehres Klassikerbild, leuchtend schön, aber auch altbekannt.

Das ändert sich auch nicht am nächsten Tag. Die Kammerakademie Potsdam und ihr Leiter Antonello Manacorda eröffnen den Marathon im Großen Saal mit der dritten Version der Leonore-Ouvertüre. Natürlich hören sich die Originalinstrumente schlanker an. Die Potsdamer verstehen es, eine feine, glänzende Lasur über ihren Klang zu legen. Dann Andreas Staier als Solist im dritten Klavierkonzert: harter Kern, weiche Schale. Staier verpackt seinen kräftigen Anschlag in einen Wohlfühlsound ohne Ecken und Kanten, der zwar verzaubert, Beethoven aber auch viel von seiner Schroffheit, seinem revolutionären Elan nimmt.

Der Weg nach oben in den Kleinen Saal ist zugleich ein Weg ins Innere: Im Streichquartett cis-Moll op. 131, eines der letzten Quartette des ertaubten Meisters, kämpfen stille Verzweiflung und zartbittere Hoffnung miteinander. Ulrike Petersen, Teresa Kammerer, Ernst-Martin Schmidt und Taneli Turunen spielen mit sattem Klang, Petersens Primgeige ist eine Spur dominanter, als sie müsste. Schade nur, dass alle sieben Sätze ein ähnliches Temperament haben, wo mehr Brüche angebracht wären. Es geht weiter, einen ganzen Tag lang, auch unten im Musikclub, wo sich Studierende der „Hanns Eisler“ allen 32 Klaviersonaten widmen. Der Marathon vermittelt eine Ahnung davon, wie gewaltig, vielschichtig, breitgefächert Beethovens Werk auch im Vergleich zu heute noch ist. Zugleich feiert er natürlich auch das Vertraute, den sicheren Boden. Daran ist nichts Schlechtes, wenn man danach bereit ist, sich den Stürmen auszusetzen, die nach Beethoven kamen – und die ohne ihn nicht denkbar gewesen wären. Udo Badelt

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