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Kultur: Der ganze Piranesi: Meister der Kerker und der Aufklärung

Piranesi war Römer aus Leidenschaft, Architekt aus Passion. Aber seine Bedeutung beruht auf den Kupferstichen und Radierungen, die ihn zu einem der überragenden Meister der Grafik des 18.

Piranesi war Römer aus Leidenschaft, Architekt aus Passion. Aber seine Bedeutung beruht auf den Kupferstichen und Radierungen, die ihn zu einem der überragenden Meister der Grafik des 18. Jahrhunderts machten. Geboren wurde er 1720 in Venedig, einer der wichtigsten Druckstädte jener Zeit. Nach einer Ausbildung als Architekturzeichner kam Giovanni Battista Piranesi im Alter von zwanzig Jahren im Gefolge des venezianischen Botschafters nach Rom. Innerhalb kürzester Zeit verfällt der junge Mann der Ewigen Stadt und ihren Ruinen. Ihr gilt, obgleich er viele Städte besucht und darstellt, sein Hauptwerk. Besonders die seit 1747 erscheinenden "Vedute di Roma" und die 1756 begonnenen, nach dem Krach mit einem englischen Finanzier dem römischen Volk gewidmeten "Antichitá Romanae", also die Römischen Stadtansichten und die Römischen Altertümer, wurden immer neu überarbeitet. Begehrt sind sie als Mitbringsel von Reisenden, aber auch bei Freunden des römischen Lokalpatriotismus.

Seit 1761 erscheinen die "Carceri"-Fantasien, 1777 werden die Ruinen von Paestum aufgenommen. Sie sind mit der dramatischen Darstellung der verfallenen Steine, den scharfen Kontrasten ein Monument des Heroismus, den Piranesi in der Antike sieht. Prianesi wendet sich mit diesen prachtvollen Blättern aber auch gegen die ideale Schönheitssehnsucht, die Winckelmanns Antikenverehrung in Statuen und Gemmen gefunden hatte. Er versuchte, der in ganz Europa ausbrechenden Graecophilie das stolze Bekenntnis zum Römertum entgegenzusetzen. Ein neuer Band des Taschen-Verlages bindet jetzt sein gesamtes grafisches Werk wieder zusammen, erlaubt einen Überblick über einen der faszinierendsten Künstler der Aufklärung, der wie Goya das Fundament auch zu den Nachtmaren der Romantik legte. Da Piranesi als Architekt nicht nur weniger Wirkung, sondern auch weniger Talent hatte, ist die Konzentration gerechtfertigt, wenngleich eine kleine Erweiterung um seine Bauten schön gewesen wäre. Der Band muss auf das originale, oft monumentale Format der Grafiken verzichten, doch der Druck ist so hervorragend, dass selbst kleinste Beischriften gelesen werden können. An jedem Kapitelbeginn sind Ausschnitte aus den Grafiken vergrößert wiedergegeben - so kann man die Technik Piranesis auch im Detail studieren. Der Band gibt die Mappenwerke Piranesis in chronologischer Folge wieder, mit ausführlichen editorischen Erläuterungen und einem vorzüglichen Einleitung in den Lebenslauf des Künstlers vom Leiter des Italienischen Grafik-Institutes, Luigi Ficacci. Eine Auswahlbiliografie macht weitere Studien leicht. Charakteristisch für die Begeisterung, die Piranesi bis heute auslösen kann, ist, dass in der biografischen Zeitleiste ein Todesdatum fehlt.

Waren im 19. Jahrhundert Piranesis exakten Vermessungen römischer Bauten für Architekten, Archäologen und Kunsthistoriker Arbeitsmaterial, ist es nun vor allem die ästhetische Wirkung dieser Blätter, die neue Künstlergenerationen begeistert. Umberto Ecos Klosterbibliothek in dem Roman und schon gar in dem Film "Der Name der Rose" etwa wären ohne Piranesis Carceri-Fantasien undenkbar, ebensowenig Eschers verwirrende Raumperspektiven. Das Dunkle mit dem Antiken zu versöhnen, Aufklärung über die harten Fakten einer Wasserleitung mit der dramatischen Darstellung ihres Durchbruches durch einen Berg zu verbinden - das bleibt bis heute die unerreichte Leistung Piranesis.

Nikolaus Bernau

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