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Kultur: Der Geist des Körpers

Michael Janssen zeigt junge indonesische Kunst.

Manchmal lohnt sich der Blick über den Tellerrand: Die Galerie Michael Janssen zeigt junge indonesische Kunst, die schon deshalb so schön und ergreifend ist, weil sie sich vom europäischen Einheitsdenken unterscheidet. Die ausgestellten Werke sind experimentierfreudig, ohne dabei den Sinn für ästhetische Nuancen zu verlieren. Der Titel „Flow“ ist wörtlich zu nehmen – als Hinweis darauf, dass der Fluss der Dinge den Takt des Lebens bestimmt. In diesem Sinne changieren die Werke zwischen Körpererfahrung und Naturerlebnis, kosmologischer Esoterik und Globalisierungskritik. Zwei Seiten einer Medaille also (2000 – 30 000 Euro).

Gleich im ersten Raum trifft man auf die voluminösen Körperstudien des Künstlerduos Erika Ernawan und Erik Pauhrizi. Zu sehen gibt es mehrere Meter große Porträts von indonesischen Männern und Frauen, deren Gesichter so verschwommen wirken, als ob sich über die schwarz-weißen Acrylbilder eine pulsierende Wasserschicht gelegt hätte. Die Augen starr, die Münder undeutlich, die Gesichter ausdruckslos: Begegnungen werden zu flüchtigen Ereignissen stilisiert, die plötzlich in poetische Existenzerfahrungen münden. Eine kraftvolle Allegorie auf die Vergänglichkeit. In der Ecke wiederum werden im gleichen Verfahren Alltagsszenen aus indonesischen Großstädten gezeigt: Autofahrten in Pick-Ups, volle Straßen, urbane Unordnung. Dabei scheint sich die Dynamik durch die verschwommene Pigmentierung zu verlangsamen. Auch die Titel entschleunigen: „Der Stau ist ein Stau ist ein Stau.“

Es fällt auf, wie sehr sich diese indonesische Kunst mit dem menschlichen Körper und seiner Position im Raum beschäftigt. Dieses Verhältnis tastet auch die 1986 geborene Dita Gambiro ab, freilich auf skurrile Weise: Ihre Röcke wirken anfangs noch wie fein geflickte Kostüme, befestigt an goldenen Kleiderbügeln, die in der Gesamtansicht an gruselige Skelette erinnern. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass es sich bei den Fasern der Kleidung um synthetisches Haar handelt – ein Hinweis auf den Kreativitätsdruck in der modernen Kunst. Alles muss schriller, krasser, authentischer sein.

Auch die Werke des Künstlers Erianto sind camouflierte Fallen: Erst glaubt man noch, seine Kunst würde sich hinter steil aufgestellten Holzkisten verbergen, die für den Transport verwendet werden. Aber dann merkt man, dass es sich bei den Kisten um multidimensionale, von allen Seiten bemalte Ölgemälde handelt. Als Absender ist Erianto angegeben, als Empfänger ein Auktionshaus in New York – eine raffinierte Thematisierung der Verkäuflichkeit von Kunst, die keine Grenzen mehr kennt. Und dem Motto gehorcht: je exotischer, desto besser.

Das Ausgeliefertsein an die Ökonomie spielt auch bei dem breiten, dunkel gehaltenen Gemälde „Sister“ des 1984 geborenen Künstlers J. Ariadhitya Pramuhendras eine Rolle. Die Frau im Zentrum der Leinwand scheint im Scheinwerferlicht zu stehen. Der Kopf ist gesenkt, die Arme ausgebreitet wie bei Jesus am Kreuz. Ihr Gesicht wird von einem Schatten überdeckt – nur ihre Brüste stechen deutlich hervor. Eine momentartige Szene des Bittens um Anerkennung und Aufmerksamkeit, eine Melange aus Aufopferung und Selbstaufgabe. Auch das lässt sich als Anklage entziffern, als Protestgeste gegen den enthemmten Kunstmarkt.

Nicht jedes Werk ist in dieser von Rifky Effendy kuratierten Ausstellung so originell und schön wie diese Kohlezeichnung. Und doch haben alle Werke einen engagierten Gestus, eine gesellschaftskritische Perspektive gemeinsam, die einen unverstellten Blick von außen wagt. Diese junge indonesische Kunst ist aufgeweckt, klug und vor allem anders. Man verlässt die Ausstellung mit dem Gefühl, etwas gesehen zu haben, das neu, unkalkuliert und ehrlich ist. Ein Erlebnis mit Seltenheitswert. Tomasz Kurianowicz

Galerie Michael Jansen, Rudi-DutschkeStr. 26, bis 14. Juli, Di-Sa 11-18 Uhr

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