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Ein Gebirge von Mann. Franz Schuh.

© picture alliance / Manfred Klime

Literatur: Der Geistesblitzbeschwörer

Wien, nicht nur du allein: Franz Schuh lässt in seinem Buch „Der Krückenkaktus“ Pointen blühen

Franz Schuh, man weiß es sofort, ist eine Verkörperung. Aber wovon? Schon die Beschreibung dessen, was mit diesem Buch vorliegt, ist nicht ganz einfach. Es handelt sich um ein Pastiche aus Texten der letzten Jahre mit dem Untertitel „Erinnerungen an die Liebe, die Kunst und den Tod“. Eine weniger originelle Themenzusammenfassung ist kaum denkbar, aber mit dem Wort „Erinnerungen“ ist zumindest, was den Tod angeht, die Tür für Hintersinn geöffnet. Tischrücken und Geisterbeschwörung kommen in diesem Buch jedoch nicht vor.

Geistesbeschwörung dafür umso mehr. Franz Schuh ist nicht nur hochgebildet und dergestalt die Verkörperung des lebenden Zettelkastens, mit anderen Worten: ein Assoziationsvirtuose und brillanter Zitierer, aber er kann auch das Vergnügen, ja die Freude, die Literatur aller Arten ihm beschert, auf eine Weise weitergeben, dass man sich gern zurücklehnt und beschließt zu genießen. Denn dieses Buch zu lesen ist ein Hochgenuss. Der Autor ist die Verkörperung des Glaubens, dass die Beschäftigung mit den Hervorbringungen der Kultur ein Leben wert ist, und das hat doch etwas sehr Tröstliches.

Als essayistischer Feuilletonist und feuilletonistischer Essayist steht der Wiener Franz Schuh in einer Tradition, die von Moritz Saphir zu Karl Kraus, Robert Musil und Elias Canetti führt, Hochlichtern der lebenskritischen Literatur mindestens Europas. Sie alle haben zu nutzen gewusst, was die Lizenz des Feuilletonisten ist, dass er die Strenge der Argumentation, der der klassische Essayist verpflichtet ist, gelegentlich durch einen sogenannten Geistesblitz kurzschließen darf. Darin ist auch Schuh ein Meister.

Diese Methode funktioniert bei ihm nicht zuletzt deswegen so gut, weil der Autor bisweilen so daherkommt, als habe er beim Vorsichhinsinnieren versehentlich auf einen Knopf gedrückt, der es uns erlaubt, mitzuhören, was ihm so durch den Kopf geht. Um auf einmal in eine Argumentiererei hineingezogen zu werden, die unversehens durch einen Witz und also durch das eigene Lachen zu einer Erkenntnis führt.

Sollte jemand fragen, ob sich nicht doch etwas genauer sagen ließe, wovon diese Texte handeln, müsste man tatsächlich antworten: Das ist doch gar nicht so wichtig. Oder: Es geht um das Nichtschlafenkönnen, um akademische Spezialisten, um Krankenhäuser, heilige Kühe und die Liebe, häufig um Kunst und die, die sie machen, noch häufiger jedoch um das misslingende Leben und das Glück, von alldem, wenn schon nicht erzählen, dann doch reden zu können.

Dabei ist Schuh stets auch ein Vertreter der möglichen Gegenposition, oder wie er sagt: „An unserer Kultur liebe ich sehr, dass man in ihr nichts behaupten kann, was nicht zugleich richtig und falsch ist.“ Letztlich dient dies ja der Wahrheitsfindung, auch wenn der studierte Philosoph Schuh gern offenhält, was Wahrheit ist. Gern schiebt er Formulierungen ein wie „meines Erachtens“, „so kam es mir vor“, „nach meiner Ansicht“.

Natürlich kann sich der Essayist aus dem Geiste des Feuilletons den besten aller Stoffe nicht entgehen lassen: sich selbst. Und in der Tat sagt Schuh in diesem Buch sehr häufig „ich“. Schuh ist Schuh, da helfen keine Schlenker, und die Leidensgestalt, die uns hier entgegentritt, ist eine Verkörperung und keine Kunstfigur. Im Gegenteil: Gegen die Unübersichtlichkeit der Gesellschaft, ihre Unverbindlichkeit und ihre Unlust, mehr Licht in die Sache zu bringen, die sie ist, setzt Franz Schuh sich selbst, so schonungslos anmaßend wie diskret. Dieser Mann ist ein Herr.

Dem scheinen die eingestreuten Gedichte zu widersprechen, die ihr Vergnügen auch am Simplen und Ordinären haben, was der gelegentliche Dialekt noch unterstützt. Es wird den Autor nicht kränken, wenn man feststellt, dass sie keine lyrischen Meilensteine sind. Aber sie rücken etwas von der Figur Franz Schuh ins Bild, das für das Ganze die Salz- und Pfefferprise ist: Er ist „ein Kind der Wiener Vorstadt“. Längst aber ist ihm Wien, das er nie verlassen würde, ebenso zu eng wie Österreich, und seine Kommentare greifen gern ins Deutsche rüber und auch darüber hinaus. Wie wunderbar wäre es gewesen, hätte man ihn schon im Paris der zwanziger Jahre oder im New York der dreißiger Jahre als Korrespondenten gehabt. Und wie viel wunderbarer noch beim Wiener Kongress oder bei den Abendgesellschaften des Weimarer Geheimrats.

Der längste, ein Viertel des Buches füllende Text macht Schuh, der vom Typus ohnehin zu den Schriftstellern zählt, die trotz zahlloser Beiträge Autoren ohne Werk sind, zu jemandem, für den die Formulierung „brillanter Kopf“ nicht mehr genügt. „Am Tag, als ich Wolfgang Koeppen traf“ ist eine große, ja außerordentliche Geschichte, die die Methode dieses Autors, wenn es sein muss, aufs Ganze zu gehen, glanzvoll zu einem dunklen Leuchten bringt.

Erzählt wird von einer Taxifahrt durch Wien, die Flucht und pandämonisches Ziel zugleich ist. Der Insasse, Franz Schuh, genervt vom Operndirektor und seinen nicht endenden Abschieden, denen er zu entkommen versucht, lässt von Arnold Schwarzenegger über John Donne bis eben Wolfgang Koeppen die unterschiedlichsten Figuren vorüberziehen, als wär’s ein Totentanz, und wahrhaftig kommt der tote Vater auch noch hinzu, ebenso wie dessen Armbanduhr Marke Doxa. Von der eigenen Schönheit ist die Rede, oh ja, von der Zuneigung zu einer gewissen Claudia, von der Zerbrechlichkeit des Glücks und der Gewissheit des Endes.

Und von Thomas Bernhard. Nicht weil auch einmal dessen Name fällt, sondern weil er endlich einen würdigen Nachfolger gefunden hat, der, sei es durch Überdruss, sei es durch Leiden, in jedem Falle aber durch sich selbst herausgefordert zu einer Hochform aufläuft, bei der sich Einfälle und sprachliche Schärfe die Waage halten. Raison und Raisonnement sind hier bestens zusammengebracht, dazu ein Witz, der in seiner Menschenkenntnis dem von Bernhard überlegen ist. Diesen Schuh sollte man sich ruhig anziehen. Man ist damit nicht schlecht unterwegs.

Franz Schuh: Der Krückenkaktus. Erinnerungen an die Liebe, die Kunst und den Tod. Zsolnay, Wien 2011. 256 S., 19,90 €.

Jochen Jung

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