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Kultur: Der große Diktator

Heute vor 50 Jahren starb Arturo Toscanini

Dieser Mann muss furchtbar gewesen sein (die filmischen Mitschnitte seiner Probenarbeit jedenfalls belegen kaum anderes). Despot. Unterdrücker. Beherrscher. Wüterich. Vulkanisch in seinen Ausbrüchen. Unerbittlich in seinen – oft nur zu berechtigten – Forderungen, auch: unerbittlich humorlos. Selbst so deftig- delikate Stücklein wie Brahms’ Ungarische Tänze vermag er noch „seelenneutral“ feil zu bieten, ohne Erotizismen und Pusztalaune. Ein Schneiderssohn aus Parma, der es sich leisten kann, vor der musikalischen Weltöffentlichkeit Taktstöcke zu zerhauen, silberne Taschenuhren zu zerstampfen und mit Notenpulten zu werfen. Karikaturenreif. Ein HB- Männchen mit glühenden Augen und elektrisierter Haartolle. Und doch: der Inbegriff des modernen Stardirigenten. Der Maestro assoluto des 20. Jahrhunderts. Wegweisend. Revolutionär. Reinigend. Furtwänglers dezidierter „Gegenpapst“: ein begnadeter Apolliniker.

An Arturo Toscanini scheiden sich bis heute die Geister. Man rühmt die Kompromisslosigkeit seiner musikalischen Erregung. „Jeder Satz einer Sinfonie“, so einst ein Geiger der New Yorker Philharmoniker, deren Chef Toscanini von 1928 bis 1936 ist, „war ein Krisenfall. Jede Aufführung wurde so gespielt, als hinge unser aller Leben von ihrem restlosen Gelingen ab.“ Und doch steht man immer wieder ratlos vor dem Postulat jener „castità“, der unbedingten Keuschheit und Reinheit im Umgang mit dem Notentext. Toscanini, der 1887 als blutjunger Cellist im Graben der Mailänder Scala der Uraufführung von Verdis „Otello“ beiwohnt und ein Jahr zuvor in Rio de Janeiro mit „Aida“ – unfreiwillig – sein Pultdebüt gibt, der für Wagner in Italien flammend den Boden bereitet, Leoncallas „Bajazzo“ sowie Puccinis „Bohème“ und „Turandot“ uraufführt und mit Komponisten wie Debussy, Ravel, Elgar, Sibelius und Richard Strauss lebhaft in Kontakt steht: der Verfechter einer rigiden Werktreue und musique pure?

Legendär in diesem Zusammenhang seine Äußerungen im Blick auf den ersten Satz der Beethovenschen „Eroica“: „Manche sagen, das ist Napoleon, manche Hitler, manche Mussolini. Für mich ist es einfach Allegro con brio.“

Dabei dürften Toscaninis praktische Errungenschaften unumstritten sein: Er setzt professionelle Standards für das spieltechnische Niveau seiner Orchestermusiker, sorgt für eine bessere Pünktlichkeit des Publikums (!) und veranlasst, den Saal während der Aufführung abzudunkeln. Arturo Toscanini, Kunstmoralist. Tyrann. Genauigkeitsfanatiker. Bei ihm hat Musik plötzlich wieder etwas mit Verantwortung zu tun, ästhetisch, gesellschaftlich. Er ist der Fixstern, wenn man so will, im langen Kometenschweif der berüchtigten anti-dionysischen „Luftzerteiler“ zwischen Felix Mendelssohn Bartholdy und Nikolaus Harnoncourt.

„Man muss nicht unbedingt auf Toscaninis Kindheit und Jugend rekurrieren, um zu erklären, weshalb in seinem Musizieren wenig Liebe ist“, schreibt Peter Gülke vor zehn Jahren in der „NZZ“. Man muss wohl nicht, aber man kann. Am 25. März 1867 in eine kleinbürgerlich-patriotische Familie hineingeboren, kommt das hochbegabte Kind früh ans Konservatorium seiner Heimatstadt Parma. Noch der Erwachsene spricht mit Schauder von der „Gefängnisatmosphäre“ jener Internatsjahre. Seine Karriere verläuft gleichwohl pfeilgerade. Die Mailänder Scala und die New Yorker Met macht er zu Leuchttürmen des Musiktheaters, die Bayreuther Festspiele erschüttert er 1930/31 mit geradezu verbissen langsamen Tempi („Tannhäuser“, „Tristan“, „Parsifal“), 1936 ist er, der politisch stets Aufrechte, Mitbegründer des Israel Philharmonic Orchestra, 1937 geht er für immer nach New York. Seine Aufnahmen mit den dortigen NBC-Symphonikern sind bis heute Legende und Legion.

„Wenn er tiefere Einsicht, lebendigere Fantasie, größere Wärme und Hingabe an das Werk besäße, wäre er kein solcher Disziplinierter geworden“, notiert einst Feind Furtwängler im Geheimen. Dafür und für vieles mehr heißt Toscanini ihn schlicht einen „Hanswurst“. Von der New Yorker Trauerfeier im Januar 1956 werden „wenig Tränen“ berichtet. Und die silbernen Taschenuhren sollen übrigens allesamt billige Imitate gewesen sein.

Christine Lemke-Matwey

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