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Kultur: Der große Dimmer

Wie die Oscars trotz Irak-Krieg vor ihrem 75. Jubiläum auf sich aufmerksam machen

Man könnte auch mal ganz ketzerisch fragen. Warum interessieren wir uns überhaupt für die Oscars – die mediale Jahresversammlung eines recht fernen Landes zur Ermittlung seiner aktuellen nationalen Leinwandheroen? Mehr noch: Warum interessiert sich die Völkergemeinschaft für die am Pazifik stattfindende Glamour-Parade, wenn eben dieses Land gerade einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt?

Hübsche Idee, so ein Aufmerksamkeitsboykott, nur ein bisschen lebensfremd. Denn erstens ist das US-Kino längst auch hierzulande das Leitmedium kollektiver Fantasie; andererseits befindet sich die Academy of Motion Pictures Arts and Sciences (AMPAS), die die Oscars am Sonntag zum 75. Mal ausrichtet, selber auf der Höhe der Zeit. Sie dimmt sich herunter. Sie verzichtet – bis zur Schmerzgrenze – auf den Glitzerkram. Sie ist, von den Mitgliedern bis zu den Nominierten, von den Moderatoren bis zu den Präsentatoren, offen für „the outside world“.

Tatsächlich reißen in den letzten Tagen entsprechende Nachrichten nicht ab. Das zweistündige Defilee über den roten Teppich, die sogenannte preshow, für viele Beobachter die eigentliche Show: abgesagt mit Rücksicht auf die Stars, die derlei derzeit für „obszön“ halten. Absagen von Aki Kaurismäki (wegen „US-Verbrechens aus ökonomischen Motiven“) und Will Smith („Fühle mich nur unbehaglich“); Absagen auch von Pro7-Reporterin Anke Engelke (Klatschberichte im Angesicht des Krieges hält sie für „verschrobene Dekadenz“) und von der mit „Nirgendwo in Afrika“ in Sachen Auslands-Oscar diesmal aussichtsreichen Caroline Link (ihr Baby ist krank).

Außerdem kritische Töne von Martin Sheen, Nicole Kidman, Daniel Day-Lewis. Und, große Frage, werden sich die als Präsentatoren zum Teleprompter-Ablesen verpflichteten Bush-Kritiker Richard Gere und Dustin Hoffman an ihr – zumindest für den weltöffentlichen Auftritt – verbindliches politisches Schweigegelübde halten? Immerhin, ausgeladen worden, wie Gerüchte wissen wollten, können sie bei diesem Job ja wohl nicht sein, im Gegenteil.

Viel Aufregung, keine Frage. Aufregung, die dem Oscar nützt – ja, wollte man zynisch sein: Wirbt der Irak-Krieg vielleicht am Ende noch für die Oscars? Und die extremen Vorsichtsmaßnahmen, die das Kodak-Theater am Sonntagabend zum Hochsicherheitstrakt machen und den Hollywood Boulevard zur Super-Bannmeile, all die Scharfschützen, die Metalldetektoren, die Anfahrt der Stars in gepanzerten Fahrzeugen: Macht diese Angst vor Anschlägen, die den Termin bis zum letzten Augenblick noch zu Fall bringen kann, das Ereignis auf eine andere Art nicht sogar noch spannender?

Quote muss sein

Zynismus hin oder her: Den Quoten – jener Punktrichterskala der TV-Schaulustigen – schadet es nicht. Und Quote muss sein. 42 Millionen Amerikaner guckten letztes Jahr zu, doppelt so viele wie bei den Golden Globes und fast so viele wie beim alljährlichen Top-Magneten Super Bowl; eine imposante Zahl, doch war das Interesse am Oscar zuletzt leicht, aber kontinuierlich zurückgegangen. Viel Geld ist im Spiel: 1,3 Millionen Dollar pro 30-Sekunden-Spot, insgesamt knapp 80 Millionen Dollar Werbeeinnahmen für den Sender ABC, der die Gala überträgt, dazu 30 Millionen Dollar für die Academy aus den weltweiten Fernsehverkäufen – warum sollten diesmal nicht zur Abwechslung die sensiblen Schauspieler die Trommel rühren, wenn statt der Glitzer-Roben eher schwarz angesagt ist?

Nicht zuletzt aus derlei ökonomischen Interessen wurde die Oscar-Zeremonie in den 75 Jahren ihres Bestehens noch nie abgesagt. 1938 wurde sie wegen Überschwemmungen um eine Woche verschoben, aber da war das Fernsehen noch nicht im Spiel. 1968, vier Tage nach Martin Luther Kings Ermordung, verschob die Academy die Gala um zwei Tage – allerdings erst nach Protesten schwarzer Schauspieler, weil der Bürgerrechtsführer noch nicht einmal beerdigt war; und als Ronald Reagan am Oscar-Tag 1981 von einem irren Jodie-Foster-Fan angeschossen wurde, da guckte der Präsident am Folgetag zumindest vom Krankenbett aus schon wieder ziemlich munter zu.

Katastrophen, halbe und ganze Trauerfälle für Amerika waren Gründe für die Verschiebung der Feier, initiative Kriegshandlungen nie – auch nicht der von Reagan befohlene Luftangriff auf Libyen am Oscar-Tag 1986. Nein, „the show must go on“, sagen die Amerikaner, wenn sie meinen: „Das Leben soll weitergehen.“ Und mit welcher Symbolhandlung könnte man die rituelle Verschmelzung von Realität und Entertainment besser begehen als alljährlich mit den Oscars?

Bleibt das Unwägbare: die Politik mitten im Event. „Jeder Oscar reflektiert die Ereignisse des jeweiligen Jahres“, sagt Zeremonienmeister Gil Cates, und so dürfte wohl sogar Komiker Steve Martin, der den Abend moderiert, das Thema Irak zumindest streifen. Und was werden die Gewinner in ihren 45 maximalen Dankessekunden sagen? Sofern sie sich an die ungeschriebenen Oscar-Regeln halten: Was sie wollen, im schicklichen Rahmen. Geht es darüber hinaus, wie 1975, als der Dokumentarfilm-Gewinner Bert Schneider eine Vietcong-Botschaft verlas, behält zumindest das Protokoll die Contenance. Die Academy sei nicht verantwortlich für dieses politische Statement, sagte damals Frank Sinatra in den Saal, und sie bedauere es auch. Punktum.

So gesehen, könnte die Oscar-Verleihung, deren eigentlicher Filmwettbewerb dieses Jahr – „Chicago“, „Gangs“, „The Hours“, „Der Pianist“ und „Herr der Ringe 2“ – ohnehin nicht nur kriegsbedingt niemanden besonders fesselt, doch weniger spannend werden als erwartet. Aber der Wirbel vorher, der hat sich vielleicht schon gelohnt.

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