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Kultur: Der große Pan ist tot

Siegfried Unselds Begräbnis in Frankfurt am Main: Ein internationales Parlament der Kultur gedenkt des Suhrkamp-Verlegers

Ein Staatsbegräbnis. Auch wenn es keine höhere Macht war, die den Verleger Siegfried Unseld gestern bestattet hat. Und doch hatte sich am späten Sonnabendnachmittag auf dem Frankfurter Hauptfriedhof eine Republik des Geistes versammmelt. Die tausendköpfige Trauergemeinde repräsentierte dieses Land und darüber hinaus den deutschen und europäischen Sprachraum, ja: ein Stück Literatur der Welt. Und weil Unselds Person und das Programm seines Suhrkamp Verlages über die Belletristik und Wissenschaft hinaus in die Politik und Gesellschaft gewirkt haben, waren neben Unternehmern und Bankern zwar nicht der Bundespräsident und auch nicht der hessische Ministerpräsident, dafür aber Gerhard Schröder und seine neue Kulturstaatsministerin Christina Weiss gekommen.

Zu allererst jedoch erwies das von niemandem gewählte, allein durch seine Ideen und Werke legitimierte Parlament der Kultur seine Reverenz. Kaum zu zählen die Gesichter, die Namen, von Martin Walser, Alexander Kluge, Peter Sloterdijk und Cees Nooteboom bis zum eben gekürten, gerade zum Suhrkamp-Autor gewordenen Literaturnobelpreisträger Imre Kertész. Und naturgemäß der Kritiker Marcel Reich-Ranicki, den mit dem Toten (und vice versa) nicht gerade Zuneigung, aber Respekt verband. So nah wie wohl noch nie in der Öffentlichkeit sah man jetzt an einem Ort miteinander verbunden auch Unselds Witwe, die Schriftstellerin und einstige Schauspielerin Ulla Berkéwicz – und Unselds einziges Kind aus erster Ehe, Joachim Unseld.

Der hatte dem Vater die Trennung von der Mutter lange nicht verzeihen können, und er durfte im Schatten des Übermächtigen, wie auch manch anderer vor und nach ihm, nicht zum Thronfolger des Verlegers werden.

Kurz bevor Siegfried Unseld nach schwerer Krankheit starb, haben sich Vater und Sohn (der inzwischen erfolgreich die Frankfurter Verlagsanstalt leitet) doch noch versöhnt. Allerdings hat die kühle Lakonie, mit der Joachim seine Trauer über den Tod des Vaters in einer Zeitungsanzeige und auf Trauerkarten bekundete („Siegfried Unseld“ – Lebensdaten – „ist gestorben“) überrascht.

Die Trauer um einen Menschen ist selten ein öffentliches, nicht nur privates Gefühl. Doch das Intime und Private, das im Leben Unselds die Frankfurter Gesellschaft, die Autoren und Mitarbeiter des Suhrkamp Verlags und ein Teil des ebenso hehren wie auch klatschsüchtigen Literaturbetriebs durchaus zum Gespräch machten, es tritt mit dem Tod in den Hintergrund. Nun ist Siegfried Unseld nicht mehr nur eine Person der Zeitgeschichte, sondern wirkt entrückt in die kulturelle Historie, wird im Pantheon der deutschen Verleger neben Samuel Fischer, Kurt Wolff, Ernst Rowohlt gestellt. Tatsächlich feierte sein Verlag, vermittelte sein Programm nicht allein die Dichtung, sondern auch die Wahrheitssuche der Philosophie und der Gesellschaftswissenschaften. Die viel apostrophierte Suhrkamp-Kultur ist damit weit mehr als nur ein flott verpasstes Label. Sie meint im Kern, im strengen Ernst nicht weniger als das: Vorschläge zu leben.

Theodor W. Adorno war neben Brecht, Hesse und Beckett nicht umsonst Suhrkamps und damit Unselds prominenteste Leuchtfigur. Minima Moralia einer Gesellschaft, die den Weltkrieg und den Holocaust überlebt hatte, sollten Suhrkamp-Bücher von nun an sein. Ins philosophisch vertiefte Denken drang Unseld, der rastlose Autoren- und Menschenfischer, eher selten. Aber ein Aufklärer war er durch und durch.

An dieses Projekt der Moderne wurde auch auf dem Frankfurter Hauptfriedhof erinnert. Nach der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth sprachen neben dem mit weißen und rosa Rosen geschmückten Sarg der Israeli Amos Oz, der Schweizer Adolf Muschg und der Ungar Imre Kertész vor etwa 400 Menschen in der Trauerhalle, und weit mehr standen draußen, hörten die Reden über Lautsprecher. Nicht nur bei Kertész, dem Auschwitz-Überlebenden, stand die letzte persönliche Begegnung mit Unseld im Vordergrund. Amos Oz sagte, sein Freund Siegfried mit seiner „väterlichen Weisheit“ und der „unendlichen Neugier eines Lesers und Liebhabers“ habe für ihn „das moderne Deutschland“ verkörpert.

Die Hauptrede hielt Adolf Muschg, der das Freundschaftliche mit dem Emphatischen verband: „Der Suhrkamp Verlag ist auf dem Riss durch die deutsche Geschichte errichtet und hat ihn als Grundriss genutzt. So gehört Suhrkamp zum Fundament der ersten deutschen Republik, die auf Humanität, Menschenwürde und Demokratie gebaut ist.“ Muschg nannte Unseld den „fürstlichen Bürger seiner Welt“. Und sagte: „Der große Pan ist tot. Er verkörperte eine Epoche und hat sie gemacht. Mit ihm geht sie zu Ende.“ Später am Grab las der Berliner Lyriker Durs Grünbein das Lieblingsgedicht des Verstorbenen, Hermann Hesses „Stufen“, mit der Schlusszeile: „Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“

Es ging an diesem in Frankfurt überraschend strahlenden Allerseelentag doch etwas gravitätischer zu als vor knapp sieben Jahren auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, als im Januar 1996 der Dramatiker Heiner Müller beerdigt wurde – das war wohl das letzte Mal, dass ein solcher Akt zum Ereignis des Landes wurde: mehr als bei den Begräbnissen etwa von Ernst Jünger oder selbst des hundertjährigen Philosophen Hans-Georg Gadamer. Und die Nachricht vom Tod der Schauspielerin Marianne Hoppe kam einen Tag vor Unselds Ende, aber da hatte sie ihr Sohn schon in aller Stille bestatten lassen.

Heiner Müller, der letzte DDR-Repräsentant und zugleich ein kultureller Weltstar, der mit seiner Gesamtausgabe posthum noch zum Suhrkamp-Autor wurde, er hat ein Grab unweit von Hegel, Fichte und Brecht. Diese letzte Nachbarschaft hätte auch Siegfried Unseld gefallen. Aber Frankfurts riesiger Hauptfriedhof, am nördlichen Rand der City nur einige Gehminuten von Unselds Haus gelegen, wo er eine Woche zuvor verstarb, diese letzte Ruhestätte ist eine gleichfalls würdige Adresse. Ein Ort der verwandten Geister. Adorno ist hier begraben und Alexander Mitscherlich, der Autor der „Unfähigkeit zu trauern“; auch Goethes Vertraute Marianne von Willemer, der „Iphigenien“-Maler Anselm von Feuerbach, der Büchner-Zeitgenosse Gutzkow, der Philosoph Arthur Schopenhauer ebenso wie der Frankfurter Lokalheros und Mundartdichter Friedrich Stoltze, die Volksschauspielerin Liesl Christ, der Unternehmer Josef Neckermann, die Bankiers-Familie Bethmann – und nebenan, auf dem angrenzenden Alten Jüdischen Friedhof liegen die aus Frankfurt stammenden Rothschilds oder der Mediziner und Nobelpreisträger Paul Ehrlich.

Siegfried Unselds letzte Gründungen waren der Jüdische Verlag und der Deutsche Klassiker Verlag. Das bezeichnet den Traditionsbogen, auch einen der deutschen Geistesrepublik. Nun ist Unselds mit Kränzen und Blumen nicht nur von Berühmten, sondern auch von Frankfurter Bürgern und dankbaren Lesern gesäumtes Grab im prominenten „Gewann II“ (Gewann heißt Feld): Es liegt unter Tannen und Birken, nahe der Dichterin Ricarda Huch auf der hier so genannten „Oberbürgermeisterwiese“. Sie ist inzwischen für Frankfurts Stadtoberhäupter reserviert, zudem für die Ehrenbürger der Goethestadt.

An einem 28. August, Goethes Geburtstag, hatte Siegfried Unseld Ulla Berkéwicz geheiratet (die nun der Unseld-Stiftung, der Holding des Suhrkamp-Reich vorsteht); über „Goethe und seine Verleger“ hat Unseld sein bestes eigenes Buch geschrieben, und so alt wie Goethe, der mit 82 starb, wollte er allemal werden. Die Krankheit aber nahm den so lange glückhaft Starken schon mit 78 in den Tod. Erst vor einem Monat hatte ihm Frankfurts Oberbürgermeisterin die Ehrenbürgerwürde verliehen – in seinem Haus, das er jetzt verlassen hat.

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