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Kultur: Der große Transfer

Von Zweifeln und vom Zauber des Anfangs: drei herausragende Debüts in Berliner Galerien

Naive Expressionismen, wie sie zurzeit in manchen Galerien wieder gepflegt werden, liegen diesen drei Debütanten fern. Gemeinsamer Nenner ist vielmehr ein konzeptueller Ansatz, wobei dieses Adjektiv sehr offen interpretiert wird. Bei der 1971 geborenen Iris Schomaker, die bei Thomas Schulte ihre erste Einzelausstellung bestreitet, lässt sich der Begriff als freiwillige Selbstkontrolle zusammenfassen (Mommsenstraße 56; bis 30. Oktober). Sie malt Annäherungen an Landschaften nach gefundenen Fotografien, erkundet die Farb- und Formgewichte zunächst in Skizzen, probiert, sucht, tastet sich dann voran und transformiert die Übersetzungen auf Großformate. Diese dokumentieren einen bildnerischen Klärungsprozess, bei dem das Motiv gegenüber der Bildreflexion die Waage hält. Daraus ergibt sich eine Atmosphäre des Zweifelns, die zum kritischen Sehen verführt. Impuls und Richtung empfangen die Transfers aber dadurch, dass sie sich vom Vorbild der Fotografie befreien. Es entstehen teils mehrere Meter große Formate, die auch Zwischenzuständen Geltung verschaffen. Wer glaubt, Aquarellmalerei sei der Zeitvertreib höherer Töchter, wird hier eines Besseren belehrt. Ein starker Start mit souverän integrierter Selbstbefragung (Bilder 9000 Euro).

Jan Winkelmann, der nach fünf Jahren als Kurator in der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst nun eine Privatgalerie eröffnete, zeigt in seiner ersten Ausstellung den Video-Loop „An Island“ (3500 Euro, Auflage 9) der 1970 geborenen Katarina Löfström (Brunnenstraße 185). Gleichzeitig präsentiert Löfström im Künstlerhaus Bethanien zwei weitere Arbeiten (Mariannenplatz 2; bis 26. September). Sie hat den Vergnügungspark Tivoli in Stockholm aus weiter Ferne in der Nacht gefilmt, mit Computerbearbeitung zu flackernden Lichtpunkten abstrahiert und dazu einen Ambient-Sound komponieren lassen: High-Tech-Impressionismus mit Trance-Effekten. Was Fund und was Erfindung ist, bleibt unklar. Das Lichtgebirge am nächtlichen Horizont wirkt jedoch eher wie eine Kreation der Vorstellung. Winkelmann schlägt dafür den Begriff „kontemplative Statik mit meditativem Charakter“ vor.

Das Auktionshaus Villa Grisebach, das sich mit seinem Schwerpunkt auf der Kunst der Moderne zu einem der ersten Häuser in Deutschland etabliert hat, eröffnete die „Villa Grisebach Gallery“ mit Fokus auf jüngere Künstler. Das darf man als lokale Sensation bezeichnen: Das erste Haus für die Klassische Moderne ist in die Gegenwart gerückt (Fasanenstraße 25; bis 11. November). Und die Villa macht auch gleich alles etwas gründlicher als alle anderen. Sie beginnt mit der Aufbauarbeit und bietet den Künstlern eine inspirierte wissenschaftliche Begleitung mit Katalogen. Dabei wäre es für das Haus ein Leichtes gewesen, die Galerien der Stadt mit feindlichen Übernahmen in Schrecken zu versetzen und mit eingeführten Jungkünstlern durchzustarten.

Doch die Villa Grisebach verdirbt nicht die Regeln und beginnt am Anfang. Und dort steht das menschliche Antlitz. 18 Gesichter blicken frontal in die drei Räume (6000 Euro). Manche sind an die Bildkante gesetzt, manche mit einer Umrisslinie abstrahiert. Der 1969 geborene Jin Lie übersetzte die fotografischen Abbilder seiner Freunde in sensibel entrückte Ansichten, deren Faszinosum darin liegt, dass sie mit wenigen Strichen ebenso nah, vertraut, zart und gleichzeitig unnahbar stilisiert im neutralen weißen Grund bleiben. Bild und Person ergeben ein getrenntes Ineinander – wie gefaltete Hände. Jedem Portrait geht eine Reihe von Reduktionen voran, die Lie auf eine minimale Linienformation wie ein beginnender Zen-Meister überträgt. Die Interpreten im Katalog rücken Lie in die Nähe von Luc Tuymans. Näher ist er dem Hardcore-Konzeptualisten Bernard Frieze, wo jeder Strich eine Formalisierung mit hoher Transparenz ist. So auch bei Jin Lie, der seine Farben aber eher von Armani leiht. Chamois, Anthrazit und Champagner ergeben einen Ton hoher Eleganz. Alle Künstler verbindet prüfende Umsicht. Denn nur durch den zugelassenen Zweifel werden die Werke glaubwürdig.

Peter Herbstreuth

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