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Kultur: Der Herr der Insel

Eine Geschichte – für den Unternehmer Heinz Dürr, der heute 70 Jahre alt wird

I. Was ist ein Unternehmer? Komische Frage. Ein Unternehmer, der Entrepreneur, ist einer, der aufbricht ins Neue. Ein Entdecker und Erfinder, ein Abenteurer auch.

Seine fernen Länder oder unentdeckten Kontinente sind neue Produkte und Märkte – ein Gründergeist ist er und ein handfester Gedankenflieger, der neben der realistischen Erdung, seinem grundkapitalen Fundament, auch die Spinnkraft jener Träumer und Phantasierer besitzt, die Robert Musil die Möglichkeitsmenschen nannte. Weil sie eine Vorstellung von der unfertigen Welt bewegt, in der das Reale auch als veränderbar erscheint und ein guter Wert einen besseren Mehrwert verheißt.

Also ist der Unternehmer auch ein Triebtäter, ein Revolutionär – oder gar ein Künstler?

Die Kunst ist doch ein anderes Spiel. Kunst, schreibt der Maler Paul Klee, gibt nicht das Sichtbare wieder, sie macht sichtbar. Kunst, die keine unmittelbar soziale, ökonomische oder politische Bindung kennt, dringt so in einen Freiraum, der – im Kampf um die Form – die reale Sphäre durchdringt, sie transzendiert. Wenn das Theater glückt, dann wird ja die Bühne zum Weltraum, und drei Stunden können dreihundert Jahre erzählen. Die Wirtschaft dagegen überholt nicht Zeit und Raum, und sie bedeutet: Existenz. Die Kunst, auch die, die laut Lessing nach Brot geht (also keineswegs vom Gotteslohn lebt), sie ist: Existenzerweiterung.

Der Schriftsteller Thomas Bernhard, den der kunstsinnige Unternehmer Heinz Dürr so sehr liebt, Thomas Bernhard hat einmal auf die Frage, ob seine im Theater mit der entschiedensten und entsetzlichsten Komik (oder mit der aberwitzigsten Trauer) immerzu apodiktisch formulierenden Weltverbesserer und Weltverflucher nicht die reinsten Übertreibungskünstler seien, geantwortet: Was sonst? Allerdings sei ein Übertreibungskünstler wohl so etwas wie ein schwarzer Rabe oder weißer Schimmel – weil ein Künstler, im Gegensatz zum natürlichen Erzeuger, naturgemäß immer „überzeugen“ müsse.

Daraus lässt sich folgern: Ein erfolgreicher Unternehmer ist ein expandierender Betreiber. Und der Künstler, der Dichter ist ein Übertreiber, mit einer Dynamik allerdings, die oft auch nach innen geht: die amorphe Weltvielfalt verdichtend oder reduzierend. Wie bei Beckett, Giacometti, John Cage. (Oder beim Fond in der Küche des Soßenkünstlers.)

Die Dynamik eines Unternehmers, zumal des Industriellen und Wirtschaftsgeisteskopfs Heinz Dürr, geht nach draußen. Impulsiv. Explosiv. Thomas Mann hat gesagt, einen Roman zu schreiben, das heiße fünf Prozent Inspiration und fünfundneunzig Prozent Transpiration. Das gilt wahrscheinlich auch für den Unternehmer. Aber bei Heinz Dürr fallen die fünfundneunzig Prozent nicht so sehr auf ...

II.Der wahre Unternehmer, der soziale Verantwortung mit Risiko, Innovation und Gewinnsinn verbindet, er ist – weitab vom schieren Manager, Funktionär oder Technokraten – durchaus ein Grenzgänger. Und als Markteroberer oder Mehrwertschöpfer auch: ein Grenzüberschreiter. Sein teuerstes Kapital bleibt dabei sein Kopf. Sehen wir vom Gewinn, dem Kopfgeld, einmal ab, dann erweist sich der wahre Unternehmer bisweilen als tatkräftiges Gegenbild zum symbolkräftigen Künstler. Vielleicht liebt der Unternehmer als Kunstfreund darum in der Kunst und im Künstler auch seinen: farbigen Schatten. Und im besten, leibhaftigsten Fall ist der eine des anderen Milch- und Honigbruder.

An dieser Stelle sind wir natürlich beim Mäzen. Hier wird der Jäger zum Sammler – auch das ist ein Schritt zur Zivilisation, zur Kultur. Heinz Dürr, der schwäbische Kulturmensch und Geschäftsgeist, dem die Welt der Wirtschaft oft wie ein Theater erscheint – eine Idee nicht nur von Shakespeare, sondern überhaupt des Barocks: dass alle Welt Bühne sei; und ein Rest Barock pulst noch im haushälterischsten Schwabenherz –, Heinz Dürr also hat als Theaterliebhaber vor einigen Jahren in Berlin einen Theaterpreis gestiftet. Als Anstiftung für neue Zeitstücke, für jüngere Dramatiker und als Zeichen ans Theater, die Gegenwart nicht vornehmlich in der Verlebendigung der Vergangenheit (das heißt: in alten Stücken) zu suchen.

Aber trotz guten Geldes und besten Willens, die neuen Talente ließen sich nur schwer herbeipreisen. Mit den Gesuchten ist es manchmal wie mit dem Wind. „Ich liebe den Wind, weil man ihn nicht kaufen kann.“ Das war ein Satz von Gianni Agnelli.

Die Leidenschaft des italienischen Unternehmers war das Segeln – andernfalls hätte er, statt vom Wind zu sprechen, auch das Wort „Glück“ gebrauchen können.

Heinz Dürr, der wie sein verstorbener Freund Siegfried Unseld (dieser andere Schwabenpfeil im Herzen der Kultur und Wirtschaft) „ins Gelingen verliebt“ ist, er tritt auf der Lebensbühne als großes, erst siebzig Jahre altes Glückskind auf. Und er möchte das Glück für die von ihm geförderten und geforderten Künstler nur zu gerne auch mal korrigieren (oder ein bisschen wenigstens: kommandieren). Womöglich bräuchte es dafür in Zukunft noch eines ganz eigenen Ortes. Mit dem zweiten Wind.

Wir stellen uns hierzu vor: im schwäbischem oder einem anderen Meer eine Glückskunstinsel, ein Dürrland, mit einem Dürrhaus drauf, einem Dürrschloss gar, in dem die Theaterdichter Theaterstücke dichten – und die Insel nicht verlassen, bis ein Ende geglückt ist. Dann erst erscheint am Horizont das Schiff zurück.

Der Speisesaal in diesem Dürrhaus heißt Prosperos Halle, und das größte Einzelzimmer ist naturgemäß das Thomas-Bernhard-Zimmer: ein strenger Raum, ein Paar Hausschuhe steht jeden Abend im rechten Winkel vorm Bett und an den Wänden Architekturmodelle von Ruinenbaumeistern und juristische Urkunden in Latein, Todesurteile und Strafpredigten. Auf dem Schreibtisch liegt eine Arbeitsmütze, die Narrenkappe. Und für den Bewohner gibt es jeden Tag eine Flasche Welschriesling.

Nebenan liegt das Whiskyzimmer mit einer zigarrenförmigen Badewanne, das ist das Heiner-Müller-Zimmer. Den Schreibtisch im Schiller-Raum schmückt die Marmorplastik eines gespaltenen Apfels und eine Locke das Kopfkissen (beliebt bei Dichterinnen, den expressiven Dramatikerinnen); dagegen gleicht das Doppelbett im Jandl-Zimmer einem weiß aufgeschlagenen Buch, mit einer sinnlich-intellektuellen Mittelritze. Zur Auswahl stehen auch ein Fleißerstübchen mit Brechtbalkon, ein Grassroom, über der Tür eine handkolorierte Rättin, sowie die Bibliothek mit der blitzzackigen Installation des italienischen Lichtkünstlers Pacioli, die zu allen Tageszeiten die Farbe wechselt und den Titel trägt „Soll und Haben“.

III.Die Insel hat keinen Leuchtturm. Doch in der Sonne oder im Mondlicht glänzt von weitem schon die Spitze einer namenlosen Metallskulptur, hoch und schlank vor dem Dürrhaus aufragend wie eine menschenähnliche Stele, in der einige Betrachter ein Abbild des Herrn der Insel vermuten.

Andere nennen den metallenen Fingerzeig zum Himmel ganz einfach „Heilix Blechle“.

Und dabei geht ihnen ein Lächeln durchs Gesicht.

Diese Hommage à D. erscheint heute in dem von Günther Sassmann im Campus Verlag Frankfurt/New York herausgegebenen Band „Heinz Dürr. Annäherungen an einen Unternehmer“.

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