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Kultur: Der Herr der Klinge

Martin Scorsese über Amerika, die Gewaltfrage und seinen Film „Gangs of New York“

Am vergangenen Wochenende feierte „Gangs of New York“ auf der Berlinale seine EuropaPremiere: Martin Scorseses Drei-Stunden-Epos über die Bandenkriege im New York der 1840er Jahre erzählt vom Ursprung der Demokratie aus dem Machtkampf und der Gewalt: großes Ausstattungskino mit Daniel Day-Lewis, Leonardo DiCaprio, Cameron Diaz und Liam Neeson (Tsp. vom 15.2.). Ab morgen läuft „Gangs of New York“ in 22 Berliner Kinos, OV im Cinemaxx Potsdamer Platz und Cinestar Sony-Center, OmU im Odeon.

Mr. Scorsese, die Entstehung von „Gangs of New York“ ist eine fast unendliche Geschichte. Lange Planung, ein Jahr Drehzeit, die Postproduktion dauerte nochmal ein Jahr: die Hölle?

Wir wussten von Anfang an, dass es schwierig werden würde. Und der Teufel ist nicht eine Person allein, der Teufel ist ein System. Ich will in diesem System immer meine eigenen Filme machen, und das so gut wie möglich. Auch diesmal habe ich alles jeden Tag neu ausgefochten, ausdiskutiert, ausgekämpft, ausgepöbelt, ausgelacht – die ganze Quälerei und Paranoia, nun ja, die Paranoia, die ich so eben noch ertrage …

… der Teufel aber hieß doch Harvey Weinstein, der Miramax-Boss?

Der einzige, der ein solches Projekt stemmen konnte, war Harvey. Ich kenne ihn, also machte ich mir keine Illusionen. Er handelt natürlich im Interesse des Studios. Und wenn dir jemand 100 Millionen Dollar gibt für einen solchen Film, dann musst du das Genre des traditionellen amerikanischen Epos vorantreiben, mit Stars und, in meinem Fall zum Glück, mit tollen Schauspielern. Dann bin ich immer tiefer eingestiegen, steckte mein Geld rein, Leonardo DiCaprio steckte einen Teil seines Geldes rein – logisch, dass das Studio einen dann irgendwann fragt: Wie lange dauert das denn noch? (lacht laut). War das der Teufel, der mich so fragte? Nein! Auch wenn die Frage mich natürlich nervte.

Diese Gangs aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die Sie auf die Leinwand bringen: Repräsentierten sie damals eigentlich das Volk?

Ja. Viele dieser Gangs stehen für Interessengruppen, hinter ihnen standen oft politische Strömungen. „Bill the Butcher“ ist zwar im Film der Anführer der Native Americans – tatsächlich aber gab es damals eine ganze Menge davon. Schläger waren sie, Trinker, jeden Abend gingen sie in die Bar. Auch Bill war eher ein Spieler als ein Held.

„Gangs“ ist eine Parabel auf die amerikanische Geschichte. Und auf das Recht des Stärkeren?

Die Revolution begann 1776 und hörte 1865 auf. So lange dauerte es, bis das Land zusammenkam. Jeder hielt fest an dem, was er hatte – gegen die Fremden mit anderem Aussehen, anderer Hautfarbe, anderer Religion. Jeder, der schon da war, bekämpfte diese anderen. Ich hoffe, wir haben heute solche Abwehrreflexe hinter uns, die Welt ist dafür zu klein.

Einmal heißt es: „Wer in Amerika geboren ist, opfert auch sein Leben für sein Land.“

Das sagt Bill. Ich bin nicht seiner Meinung. Andererseits haben Menschen im Lauf der Geschichte ihr Leben dafür gegeben. Dafür empfindet man Respekt, auch wenn man mit den Gründen für den Kampf nicht einverstanden ist. Es liegt auch etwas Bewegendes darin, wenn jemand sein Lebensrecht verteidigt, etwa gegen eine Invasion. Denken Sie an bewegende Kriegsfilme – Bernhard Wickis „Die Brücke“. Oder an die Anti-Vietnam-Bewegung in den sechziger Jahren: Dann kam Oliver Stones „Platoon“, und plötzlich dachte man nicht mehr an Politik, sondern an uns, die Menschheit selbst.

Salman Rushdie hat Ihren Film mit dem „Herrn der Ringe“ verglichen. Er schreibt, in „Gangs“ gehe es nicht um Gut gegen Böse, sondern um einen moderneren Begriff von Krieg. Heutige Kriege seien Kriege zwischen Gangs.

„Gangs“ mit seinem New York, das ein Abbild der ganzen Welt ist, handelt von einer Stammesfehde. Der Film fragt: Verhalten wir uns überhaupt wie menschliche Wesen? Kann alles immer nur durch Gewalt gelöst werden?

In einer Szene schiffen sich die Soldaten zum Bürgerkrieg ein, und aus denselben Schiffen werden die Holzsärge der Gefallenen ausgeladen. Ein aktuelles politisches Statement?

Die irischen Einwanderer kamen aus der Hungersnot, sie hatten nichts. Sie retteten sich in ein Land, das sie willkommen hieß, Menschenrechte respektierte – und dann merkten sie: Da findet ja ein Krieg statt. Es gab keine Fotos, kein Fernsehen, kein Video, alle hatten Ruhm und Ehre im Kopf, niemand wusste, wie dieser Krieg aussah. So wurden diese armen Kerls in Uniformen gesteckt, im 19. Jahrhundert, dem gewalttätigsten der amerikanischen Geschichte.

Wie friedlich war Ihre Kindheit in Little Italy?

Ich bin in einer Art sizilianischem Dorf aufgewachsen. Ich brauchte Jahre, bis ich zum ersten Mal in Greenwich Village war. Als ich zum ersten Mal auf die West Side ging, in das Revier der Bohemiens und Künstler, da fragten mich meine Leute: Was machst du denn da? Wir haben doch alles, was man braucht.

Haben Sie beim Drehen Ihre eigene Gang?

Natürlich gibt es sie: meinen Assistenten Joe Reidy, den Produzenten Michael Hausman, und Kameramann Michael Ballhaus. Ballhaus war der einzige, der mich morgens immer wieder richtig begeistern konnte, diesen Film weiterzudrehen.

Das Round-Table-Gespräch wurde aufgezeichnet von Jan Schulz-Ojala.

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