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Kultur: Der Herr der Streifen

Wider den guten Ton: Wie der Künstler Chris Newman im Märkischen Museum die Werke seiner Vorbilder zerstört

Wenn Musik imstande ist, innere Bilder heraufzubeschwören, dann beginnt dieses kleine Stück mit einem Schluckauf. Später wird es dann zu einem Wettlauf, um nach nur etwas mehr als einer Minute als akustisches Versteckspiel zwischen Stimme und klassischer Geige zu enden. Chris Newman, der Urheber dieser faszinierenden musikalischen Miniatur, sitzt im Café des Märkischen Museums und hält sich die Teetasse an die Backe. Der Tag hat schlecht angefangen für den gebürtigen Londoner: bohrender Zahnschmerz, Arzttermin, insgesamt eine tückische Qual. Jetzt wirkt er so, als sei er von seiner Genesung noch nicht vollständig überzeugt. Er sieht abgehetzt aus und ein bisschen zerzaust.

Dasselbe ließe sich auch über seine Arbeiten sagen. Schon seltsam, wie Chris Newmans Äußeres kongenial dem Charakter seiner Kunst entspricht. An diesem Tag trägt er einen feinen grünen Cord-Anzug, dazu passend einen braunen Cord-Mantel und braune Wildlederschuhe, alles sehr gepflegt und elegant, wäre da nicht dieses ausgeleierte weiße T-Shirt und seine Frisur, die aussieht, als sei er vorhin noch schnell durch die Autowaschanlage spaziert.

Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass es Gemälde von Chris Newman gibt, die wie nasse Lappen formlos von der Decke hängen. Für seine musikalischen Kompositionen dekonstruiert der studierte Tonsetzer mit Vorliebe Werke anderer Komponisten, vor allem von solchen, die er mag: Beethoven zum Beispiel oder die Kinks, zu deren Songs er Zeilen aus Gedichten von William Blake singt. Und wenn Chris Newman zeichnet, dann meist mit geschlossenen Augen. „Es sind doch Zeichnungen, oder?“ Newman nickt: „Ja, so könnte man es nennen.“

Man könnte, aber man muss nicht. Es ist nicht immer einfach, die Resultate von Chris Newmans kreativen Schüben exakt zu bestimmen. Seine Musik ähnelt manchmal eher Theaterstücken als herkömmlichen Liedern, seine Zeichnungen könnten ebenso gut Reste einer Performance sein, und die Filme, die er auch macht, sind oft das reine Chaos. Einmal hat er sich selbst dabei gefilmt, wie er – auf dem Bett liegend – einen Essay über den Niedergang Englands seit Queen Victoria verfasste. Der Trick bestand darin, dass er mit der einen Hand schrieb, während er in der anderen Hand die Kamera hielt. Bei alldem trug er keine Brille. „Und ich bin ganz schön blind ohne Brille.“

Die Weitsicht der Blindschleiche

Doch der chaotische erste Eindruck täuscht. Chris Newman ist einer der wichtigsten britischen Protagonisten der Neuen Musik und auch als bildender Künstler längst zu Rang und Ruhm gelangt. In England wird der 45-Jährige von vielen misstrauisch beäugt und von wenigen enthusiastisch gefeiert („die sind erstaunlich treu“). In Deutschland, wo er seit etlichen Jahren lebt, studierte er bei Mauricio Kagel in Köln Musik, war Hochschullehrer für Bildhauerei an der Kunstakademie in Stuttgart. Nach einem Jahr schmiss er den Job freiwillig: „Es ging einfach nicht, ich konnte nicht mehr, trotz des vielen Geldes.“ Seitdem zelebriert er ein solides Stuttgart-Ressentiment, und ist wieder zurück in Berlin, wo er schon in den Neunzigerjahren gewohnt hat.

Eigentlich ist Chris Newman ein sanfter Mensch (zumindest tut er so), aber es gibt auch Dinge, der er ehrlich verabscheut. Eines davon ist der rechtschaffen bürgerliche, der so genannte gute Geschmack. Wobei man vorsichtig unterscheiden muss: Guter Geschmack ist ihm verhasst, Kultur dagegen verehrt er aufrichtig. Dieser vermeintliche Widerspruch führt ihn dazu, Beethovens fünfte Sinfonie in ihre Einzelteile zu zerlegen oder Bilder von Künstlern nachzumalen, die er hoch schätzt: Edgar Degas etwa oder Kasimir Malewitsch, Mark Rothko oder Lovis Corinth. Allerdings ist Nachmalen hier nicht ganz der richtige Ausdruck. Newman kopiert die Gemälde recht frei, so dass zwar noch mit etwas Mühe das Original-Motiv zu erkennen ist, aber doch ein eindeutig neues Werk daraus hervorgeht.

Vor allem jedoch malt Newman die Bilder seiner berühmten Vorgänger in vier immer gleichen Farben: Cadmiumrot, Umbrabraun, Schwarz und Weiß. So erweist er seinen Favoriten seine Referenz, ohne in den Verdacht des Geschmäcklerischen zu geraten. „Die Ruinen des Bildes sind noch zu sehen“, sagt Newman und hat sichtlich Vergnügen an der dramatischen Formulierung. Ob in der Malerei oder in der Musik, bei seinen Performances oder Filmen – stets, so sagt Newman, gehe es ihm darum, eine „neue Art von Syntax“ zu finden, die das Alte und das Neue miteinander verbindet.

Dass die Ablehnung des bürgerlichen guten Geschmacks eine zutiefst im Bürgerlichen verwurzelte Angelegenheit sein kann, stört Newman nicht weiter. Er, der in London in der Gegend um den noblen Holland Park aufgewachsen ist, weiß, was er seiner eigenen Herkunft verdankt. Die Prägung durch sein Elternhaus sei eine Messlatte: „Wenn ich an neuen Projekten arbeite und mir meine Ideen selber peinlich zu werden beginnen, weiß ich, dass sie gut sind.“

In Berlin hat Chris Newman derzeit eine Reihe von Engagements. In der Akademie der Künste werden demnächst neue Lieder von ihm auf CD aufgenommen; im Podewil wurde vergangenen Freitag eine Ausstellung zum Thema Kunst und Mode eröffnet, in der Werke von ihm zu sehen sind („wie ich da rein gekommen bin, weiß ich auch nicht“); seinen größten Auftritt aber wird Newman mit einer Einzelausstellung haben, die im Turm des Märkischen Museums stattfindet.

Umzug ins Chaos

In der letzten Ausgabe der Ausstellungsserie „7hours-Turm“, die in den vergangenen anderthalb Jahren in unregelmäßigen Abständen unerwartet frischen Wind in das notorisch verschlafene Stadtmuseum brachte, wird Newman für vier Wochen sein Atelier in den Ausstellungsraum hoch über den Dächern von Berlin verlegen. Wohlgemerkt: sein ganzes Atelier, mit allem, was dazu gehört. An den Wänden seine typischen Streifenbilder, auch auf dem Boden werden Bilder liegen. Lampen und Leitern stehen im Raum herum, wilde Farbklekse sind zu erwarten und ein neues Video wird auch gezeigt. Mit seinem ganzen Mobiliar will Newman umziehen, was in der Summe erheblichen Unterhaltungswert verspricht. Sogar die Celsius-Grade werden stimmen: Newman ist bekannt dafür, dass die Temperatur in seiner Werkstatt ziemlich genau der Außentemperatur entspricht. Das passt: Im Turm des Märkischen Museums ist es in diesen Tagen bitterkalt.

Arbeiten von Chris Newman sind gegenwärtig in der Ausstellung „Lies, Lust, Art & Fashion“ im Podewil zu sehen (täglich 12-20 Uhr, bis 24.1.). Die Ausstellung „Room 3“ im Turm des Märkischen Museums wird am 16. Januar um 18 Uhr eröffnet (Donnerstag, Freitag und Sonnabend 12-18 Uhr, bis 14. Februar).

Ulrich Clewing

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