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Kultur: Der Herr nach Brecht - Zum 70. Geburtstag des früheren BE-Intendanten und Musterregisseurs

In einem Gespräch sagte Manfred Wekwerth einmal: "Brecht war der Meinung, dass das künftige Theater nur dann auf der Höhe seiner Zeit sein wird, wenn es den Widerspruch zwischen den Leidenschaften und der Vernunft produktiv bewältigen wird." Der Satz interpretiert nicht nur Brecht, sondern umschreibt, worum es dem heute vor 70 Jahren in Köthen (Sachsen-Anhalt) geborenen Regisseur, Theaterleiter und Theoretiker Wekwerth in seiner Arbeit geht.

In einem Gespräch sagte Manfred Wekwerth einmal: "Brecht war der Meinung, dass das künftige Theater nur dann auf der Höhe seiner Zeit sein wird, wenn es den Widerspruch zwischen den Leidenschaften und der Vernunft produktiv bewältigen wird." Der Satz interpretiert nicht nur Brecht, sondern umschreibt, worum es dem heute vor 70 Jahren in Köthen (Sachsen-Anhalt) geborenen Regisseur, Theaterleiter und Theoretiker Wekwerth in seiner Arbeit geht. Er hat die Vernunft auf seine Fahnen geschrieben, Vernunft als eine schöne, produktive menschliche Haltung, und damit als Voraussetzung zur möglichen und notwendigen Umgestaltung der Welt.

Eine Utopie? Heute klingt in der Tat naiv, schulbuchhaft, wenn einer durch die schönen Künste, besonders durch das Theater, die Welt und den Menschen ändern will. Und doch war diese Utopie der Antrieb für großes Theater, für leidenschaftliche Bemühungen, Klarheit und Schönheit, Wissen und Empfindung in eine dialektisch spannungsvolle Beziehung zu bringen. Nicht nur Wekwerth glaubte, im Theater die Möglichkeit gefunden zu haben, die, wie Brecht schrieb, "Mühsal der menschlichen Existenz" zu erleichtern. So verstand er, und viele mit ihm, sozialistisches Theater.

Aber die sozialistische Wirklichkeit? In den "Buckower Elegien", Brechts letzter Gedichtsammlung, stehen die Sätze: "Heut nacht im Traum sah ich Finger, auf mich deutend / Wie auf einen Aussätzigen. Sie waren zerarbeitet und / Sie waren gebrochen." Dieser Traum hat eingeholt, wer den verführerischen Möglichkeiten der Theaterarbeit, und besonders der im Berliner Ensemble, zu sehr vertraute und das Umfeld des real existierenden Sozialismus darüber aus den Augen verlor. Wekwerth hat, nach Brechts Tod, das Profil dieses Theaters als Chefregisseur (1960-1969) und Intendant (1977-1991) über lange Zeit geprägt. Seine Inszenierungen "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" (1959, zusammen mit Peter Palitzsch), "Die Tage der Commune" (1962, mit Joachim Tenschert), "Coriolan" (1964, mit Joachim Tenschert) gingen um die Welt und kündeten von der Zuversicht, dass Geschichte durch das Individuum gestaltbar sei, dass revolutionäre Prozesse, selbst wenn sie noch erfolglos sind, letztendlich doch eine menschlichere Art des Zusammenlebens hervorrufen werden. Der Verrat der Ideale, der außerhalb des Theaters stattfand, wurde verdrängt.

Manfred Wekwerth war für viele Künstler in der DDR, und auch für den Autor dieser Zeilen, eine wichtige Bezugsperson. Von ihm hing viel ab. Besonders, als er in der Nachfolge von Konrad Wolf 1981 das Amt des Präsidenten der Akademie der Künste der DDR übernahm. Wer im vorgeblich sozialistischen deutschen Staat etwas erreichen wollte, musste in die Nähe der Macht. Wer in der Nähe der Macht war, geriet in Gefahr, sich missbrauchbar zu machen. Manfred Wekwerth, der auch im Deutschen Theater (herausragend: "Leben und Tod König Richard III." mit Hilmar Thate, 1972), in Zürich, Wien und London inszeniert hat, brachte unter vielen Widerständen Heiner Müller in die Akademie, trat für die unangepassten Dramatiker Volker Braun und Georg Seidel ein, gründete 1974 das Regieinstitut der Hochschule für Schauspielkunst und suchte vernünftige kulturpolitische Entwicklungen zu fördern und zu stützen. Aber auch der Akademiepräsident musste vorsichtig taktieren und durfte an der absoluten Macht der Parteifunktionäre nicht rütteln. Hierauf gründet sich mancher Vorwurf, der Wekwerth in der Zeit der Wende bis zu seinem Rücktritt als Intendant des Berliner Ensembles gemacht worden ist. Natürlich genoss er den eigenen Erfolg, das eigene Ansehen. Dass er sich neben Kurt Hübner für den besten deutschen Theaterchef nach dem Kriege hält, hat er allerdings nicht gesagt. Der Satz ist von Claus Peymann.

Über die Theaterarbeit Wekwerths wird heute oft kurzschlüssig geurteilt. Anlass dazu sind die letzten Jahre seiner BE-Intendanz, als dem Brecht-Theater Frische und Sinnlichkeit verloren gingen, als es sich zu sicher wähnte. Und doch hat auch Wekwerth die Gefahr der Erstarrung gesehen. Mit Christoph Schroth, mit Alejandro Quintana holte er Regisseure ans Haus, die auf ganz unakademische Weise zupackendes Zeit-Theater zu machen versuchten. Um das Ruder herumzureißen, war es aber schon zu spät. Wie immer Wekwerths Endzeit am BE auch gedeutet werden mag, sie macht nicht das Wesentliche seiner künstlerischen Arbeit aus. Die noch aus der Nähe zu Brecht und Helene Weigel kommenden großen Aufführungen im BE, die Inszenierungen in Zürich ("Richard III." mit Helmut Lohner, "Der gute Mensch von Sezuan" mit Renate Richter) und Wien ("Wallenstein" mit Michael Heltau), seine Filme im DDR-Fernsehen, die mannigfaltigen theoretischen Überlegungen sind Zeugnisse für schöpferische Arbeit, die Spuren in der deutschen Theatergeschichte hinterlassen hat - die nicht wegzuwischen ist durch Irrtümer und Versäumnisse. Wer wäre wohl frei von solchen Irrtümern, wessen Leben bestünde nur aus Heldentaten? Wekwerth hat weiter gearbeitet, er inszeniert nunmehr in Halle, in Meiningen, am "Theater des Ostens" und schreibt an einem neuen Theaterbuch. In Berlin will man ihn nicht mehr kennen - da muss wohl noch Zeit vergehen, für den klaren Blick in die Geschichte.

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