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Kultur: Der Himmel über Halle-Neustadt

Pixel und Pappe: Maix Mayers Ausstellung „Hanoi“ in der Berliner Galerie Eigen + Art

Der Rezensent meinte zunächst, bei Maix Mayers Ausstellungstitel „Hanoi“ ginge es um Vietnam. Fehlanzeige. Doch er stand mit seinem Irrtum nicht allein in der Galerie. Eine Schwäbin kam, weil sie glaubte, es ginge um die Sprache ihrer Heimat („Hanoi“ wäre mit „Aber nein!“ zu übersetzen). Beide durften dann erfahren, dass es sich bei „Hanoi“ um „Ha-Neu“ handelt. Das ist das Kürzel für Halle-Neustadt, wo auch Vietnamesen wohnen. Keine Frage, der Leipziger Maix Mayer hat Humor.

Seine Zitate klingen, als wolle er sie in Porzellan formen. „Die Stadt ist Metapher für das, was ihr vorausgeht“, lässt er wissen. Angesichts der Umleitungen, ist die Ankunft in der Wirklichkeit Glückssache. Die Stadt verschließt sich mit tausend Vorhängen. „Bei einem Film“, fügt Mayer hinzu, „liegt die Stadt nicht hinter der Leinwand, sondern auf der Leinwand.“ Man wird sich also mit Pixeln und Pappe begnügen. Mayer zeigt Standfotos und Kulissen des bislang nicht realisierten Films „Hanoi“ und bietet das update eines Projekts, das er vor drei Jahren erstmals vorgestellt hatte (ab 2500 Euro).

In fast allen Ausstellungen bearbeitet der 1960 in Leipzig geborene Künstler prägende Momente seiner Biografie. 1970 wurde auf der Industriemesse Leipzig von einem VEB-Kombinat der Prototyp eines futuristischen Kugelhauses vorgestellt, der nie in Serie ging. Es sah aus wie ein Fussball, hatte einen Durchmesser von knapp fünf Metern, bot 13 Quadratmeter Nutzfläche und sollte von den Käufern selbst zusammengesetzt werden. Das Gehäuse war aus transluzentem Plastik und leuchtete nachts wie ein Ufo. Die Erfinder dachten, sie hätten die Alternative zum Schrebergartenhaus für die Ära der Weltraumfahrt entwickelt und rückten mit ihrer volkstümlichen Variante den hochfliegenden architektonischen Ideen nach, die mit dem Atomium 1958 in Brüssel, mit mobilen Räumen der Gruppe Archigramm in England, mit Wohnkapseln von Kisho Kurokawa in Japan und mit der geodätischen Kuppel von Buckminster Fuller in den USA die Fantasien beflügelten. Diese Utopien sind heute Kuriositäten. Die Wohnkapseln sollten wie Raumkapseln ihre Unabhängigkeit vom Boden signalisieren. Daran erinnert die Ausstellung. Das Remake des Kugelhauses steht jetzt neben Fotografien aus Ha-Neu in der Galerie.

„In den sechziger Jahren waren Raumfahrt und Bau-Utopien eine große Sache. Die Wabenformen der Architekten interessieren mich. Ich habe Meeresbiologie studiert und kenne mich mit Zellstrukturen aus“, sagt Mayer und überspielt die Komik des kleinen Kugelhauses im Horizont von Weltall, Weltarchitektur und Weltmeeren mit dem Hinweis, Werner Herzogs „Auch Zwerge haben klein angefangen“ hätten ihn ebenso geprägt wie Andrej Tarkowskys Film über die Macht der Vorstellungskraft in „Solaris“.

Die Ausstellungsteile schweben in einer wundersam stillen Ironie. Wer hätte gedacht, dass sich im Rückblick auf die sechziger Jahre „Hanoi“ von Sachsen aus gesehen auf „Neu“ reimt. Im Garten der Insel von Solaris verwandelt sich der Künstler in Major Tom und verschwindet in recherchegesättigten Erinnerungen. Gegenüber Ideologiekritik sind solche Reminiszenzen resistent. Mayer zeigt nicht nur Kulturgeschichte der DDR als historische Tatsachen, sondern auch als das, was Träume und Vorstellungen aus Tatsachen machen: einen Fetisch für das Fussballvolk und eine gestrandete Kleingärtneridee von der großen weiten Welt. Der ironische Ton hält das Artifizielle lebendig und verrät weder die Fakten, noch die Vorstellungen davon.

Galerie Eigen + Art, Auguststraße 26; bis 30. April; Dienstag bis Sonnabend 11–18 Uhr.

Peter Herbstreuth

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