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Kultur: Der Himmelsstürmer

Norbert Millers Essay über den Exzentriker William Beckford – und ein Gruß zum 75.

„Fantasie haben", sagte Thomas Mann, „heißt nicht, sich etwas ausdenken, sondern sich aus einer Sache etwas machen." Nur müsse allerdings der Mann danach sein. In unserem – glücklichen – Fall heißt das, über Norbert Miller zu reden und über sein jüngstes Buch, das sich auf eine der schillerndsten Figuren des englischen Hochadels und einen der reichsten Erben Englands, einen von aller Welt notorisch gemiedenen und alle Welt meidenden Exzentriker einlässt: auf die dunkle Welt des William Beckford (1760 bis 1844).

Der junge Lord schreibt 21-jährig an seine Cousine: „Ich fürchte, ich werde nie halb so weise noch tauglich sein, zu irgend etwas als dem Komponieren von Melodien, Erbauen von Türmen, Anlegen von Gärten, Sammeln alten japanischen Porzellans und dem Verfassen einer Reise nach China oder zum Mond.“ Er pflegt die Legende, dass er als Fünfjähriger vom damals neunjährigen Mozart Klavierunterricht bekommen habe, dem dabei die Idee zu „Figaros Hochzeit“ gekommen sei.

Gleichwohl ist der Brief ein Programm, dessen Ziele er – vorübergehend – erreicht. Sein Landschaftsgarten steigt zum Vorbild der englischen Gartenarchitektur auf, seine Kunst-, Antiquitäten- und Bücherkollektion wird legendär, das auf seinem Anwesen gebaute Labyrinth, das einem Gang in die Unterwelt und den „Carceri“ des Piranesi nachgeträumt ist, und der neugotische Turm, mit dem er den Umbau des väterlichen Schlosses krönt, ist der damals höchste – bald zusammenstürzende – Turm Englands.

Weitreichender wirkt dann sein bekanntestes Werk, das er 1783 in einem einzigen, drei Tage und zwei Nächte dauernden Rausch verfasst und das seinen Ruf als Autor bis heute begründet: „Vathek“, die fiktive Geschichte eines Kalifen, der einen so hohen Turm baut, dass er von ihm aus alle Königreiche der Welt kontrollieren kann. Der Hochmut wird gerächt. Als er den Verlockungen des Bösen erliegt, ergreift es ihn und setzt sein Herz auf ewig in Fegefeuer-Flammen.

Jorge Luis Borges urteilt später: „Ich behaupte, dass es sich hier um die erste, wahrhaft grässliche Hölle in der Literatur handelt. Vathek lässt die satanische Pracht Thomas de Quinceys und Poes, Charles Baudelaires und Huysmans vorausahnen.“ Der der Homosexualität bezichtigte Einsiedler muss aus England fliehen. Zurückgekehrt, wird er zum „Fool of Fonthill“ und verarmt – was wir nicht allzu wörtlich nehmen wollen.

Aber Miller hat keine Biografie geschrieben, nicht schreiben wollen. Es sind die Grausamkeiten des schreibenden Fantasten, die in den Orient ausgesiedelten Himmelsstürme und die Höllenfahrten, denen Miller sich zuwendet. Am Anfang stehen Szenen und Bilder, ein Ort, eine Figur. Am Ende werden es die Nachtschattenseiten der Epoche: „Vor allem aber“, so Miller, „wollte ich verstehen, wie ein mit Talent und Verstand überreich gesegnetes Glückskind diese seine Rolle so hochmütig verzweifelt wie beharrlich behauptet, ohne sich den wechselnden Zeittendenzen anzupassen.“

Ein Autor außerhalb seiner Zeit, der mit „Vathek“ den Anfang einer nicht didaktischen, nicht erlösungssüchtigen Literatur begründet und damit vor Marquis de Sade der erste war, der den nach Erkenntnis strebenden Menschen als Aufrührer neben den Satan stellte und in Fonthill Abbey ein in sich geschlossenes Paradies schuf, im Zeichen des Bösen. Damit die Reihe jener Autoren eröffnend, auf deren Schaffen der erste Dichter der Moderne, Baudelaire, dann den Kosmos der „Blumen des Bösen“ gründete. Benn, der Beckford schätzte, gab zu bedenken: „Wir müssen doch zugeben, dass wir immer nur von uns selbst reden, wenn wir nicht schweigen können.“ So mag es am heutigen Montag, zu seinem 75. Geburtstag, erlaubt sein zu fragen, was Norbert Miller, der uns Jean Paul zu lesen gegeben, Goethe nähergebracht und die europäische Romantik in der Musik erklärt hat, mit Beckford zu tun habe, so dass er nicht schwieg?

Auch er ein Mann außerhalb der „wechselnden Zeittendenzen“? Schärfer als bei Miller können Klassizismus und Antiklassizismus nicht zusammenstoßen. Und die Meisterschaft, mit der er sich und uns das divergierende Spektrum seiner Themen erarbeitet, lässt einen erstaunen. „Du musst doch begreifen“, so der römische Kaiser Marc Aurel, „dass jeder so viel wert ist wie das, worum er sich abmüht.“

Der Autor war Theaterintendant in Bremen und Heidelberg und lehrt an der Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin.

Norbert Miller:

„Fonthill Abbey:

Die dunkle Welt des William Beckford“.

Hanser Verlag,

München 2012.

320 Seiten, 21,90€.

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