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Kultur: Der Inquisitor

Daniel J. Goldhagen prangert die Mitschuld der katholischen Kirche am Holocaust an

Von Christian Böhme

Die Anklageschrift: 475 Seiten. Die drei großen Kapitel: 1. Klärung des Verhaltens. 2. Beurteilung der Schuld. 3. Wiedergutmachung des Schadens. Der des schon längst überführten Täters: Katholische Kirche. Der bekannte Vorwurf: Mitschuld am Holocaust und willige Komplizenschaft mit den Nazis. Der Staatsanwalt mit dem Hang zum Inquisitor: der amerikanische Politologe Daniel Jonah Goldhagen. Der Richter: Daniel Jonah Goldhagen. Sein schon vor dem Verfahren feststehendes Urteil: schuldig. Mildernde Umstände: keine.

So lässt sich ein Buch zusammenfassen, das kommende Woche erscheint und vom Autor selbst als wegweisendes Modell einer moralischen Abrechnung gelobt wird. Goldhagens „Untersuchung über Schuld und Sühne“ der katholischen Kirche während der NS-Zeit schreibt fast nahtlos seine Überlegungen über „Hitlers willige Vollstrecker“ fort. Vor sechs Jahren hatte der Harvard-Dozent sich die „ganz gewöhnlichen Deutschen“ vorgenommen, die nach seiner Überzeugung ihren verinnerlichten „eliminatorischen“ Antisemitismus zwischen 1933 und 1945 auslebten. Das klang schon sehr nach einer Rückkehr der Kollektiv-Schuld-These aus der Geschichts-Mottenkiste, ein Vorwurf den Goldhagen zwar stets zurückwies, den er aber nie wirklich entkräften konnte.

Nun geht es dem 39-Jährigen darum, das Fehlverhalten eines anderen Kollektivs anzuprangern, an dessen Spitze der Papst (Pius XII.), seine Kardinäle und Bischöfe standen. Für Goldhagen steht fest: Die katholische Kirche hat versagt. Und er glaubt, dies sei bisher bewusst vertuscht und verschwiegen worden, auch von seinen Forscherkollegen in aller Welt. Dabei habe die Kirche zum millionenfachen Mord an den europäischen Juden geschwiegen, obwohl sie ohne größeren Schaden für sich selbst hätte einschreiten können. Schlimmer noch. Die Kirche habe mit den Nazis und ihren Plänen sympathisiert, habe sogar aktiv geholfen, Juden zu verfolgen. Zum Beispiel durch die Taufregister, mit deren Hilfe sich rasch feststellen ließ, wer nach den Rassengesetzen der Nazis Jude war und wer nicht. „In allen Ecken und Enden Deutschlands kamen katholische (und protestantische) Bischöfe und Pfarrer den angeforderten genealogischen Erkundigungen nach, ohne Protest und ohne Bedenken.“

Warum gab es von den vielen Kanzeln herab keine Proteste dagegen, dass Juden in Konzentrationslagern verschwanden und nicht wiederkamen? Wie schon viele andere Forscher und Kritiker der Kirche vor ihm macht Goldhagen den christlichen Antisemitismus für die unheilige Allianz mit den Nazis verantwortlich. Diese Art der Judenfeindschaft traf sich in vielen Punkten mit dem rassistischen Antisemitismus der Machthaber. Zum Beispiel beim Kampf gegen den „jüdischen Bolschewismus“, den Pius XII. für wichtiger hielt als den Kampf gegen Hitler.

Mit all dem hat Goldhagen Recht. Aber er hat zwei Probleme: Seine Faktensammlung bringt nichts Neues, und oftmals schießt der Politologe über das Ziel hinaus: „Die Kirche hat überall, wo Priester predigten, Antisemitismus verbreitet und dafür gesorgt, dass es nicht bei einem kurzlebigen, territorial begrenzten und unbedeutenden Hass blieb, sondern dass sich daraus ein wirksamer und nachhaltiger religiöser Imperativ innerhalb der Christenheit entwickelte.“

Man muss kein bekennender Freund der katholischen Kirche und ihrer Vertreter sein, um einen solchen Satz für arg überzogen zu halten. Oder diese Kausalkette für ziemlichen Unsinn: „Antisemitismus führte zum Holocaust. Antisemitismus war ein fester Bestandteil der katholischen Kirche.“

Keine Frage: Der katholische Klerus hat viel Schuld auf sich geladen. Er hat nichts für die Juden getan, obwohl die von den Nazis unbehelligte und damit intakte Institution Kirche dazu in der Lage und moralisch verpflichtet gewesen wäre. Doch selbst hartgesottene Kirchenvertreter stellen dieses Versagen nicht mehr in Frage. Auch wenn Daniel Goldhagen das behauptet.

Daniel J. Goldhagen: Die katholische Kirche und der Holocaust. Aus d. Amerik. von Friedrich Griese. Siedler, Berlin 2002. 475 S. 24,90 Euro. Goldhagen hält am 13. 10. um 11.30 Uhr eine „Berliner Lektion“ im Renaissance-Theater.

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