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Der Jazzgitarrist Ferenc Snétberger lebt seit bald 30 Jahren in Berlin.

© Promo

Der Jazzgitarrist Ferenc Snétberger: Ich wollte spielen, nur spielen

Er stammt aus einer Roma-Familie, er hat Ungarn im Herzen: An Weihnachten tritt der großartige Jazzgitarrist Ferenc Snétberger wieder in der Berliner Passionskirche auf.

Er erscheint nur einen Augenblick zu spät zum verabredeten Treffpunkt am Kirchenportal – und entschuldigt sich gleich. Ferenc Snétberger ist ein überaus höflicher, freundlicher Mensch. Einer, der nicht besonders laut spricht. Weil er, das spürt man sofort, lieber seine Musik reden lässt. Wir sitzen im Gestühl der Passionskirche am Kreuzberger Marheinekeplatz, die Sonne wirft zu dieser vormittäglichen Stunde Flecken aus Licht an die Wand. Ein merkwürdiger, auf seine Weise schöner Bau. Byzantinische Kuppelbasilika in märkischer Backsteingotik. Fast jeden Abend finden hier Konzerte statt. Ein paar Männer fegen zwischen den Bänken.

Ferenc Snétberger liebt diesen Ort. Wegen seiner Atmosphäre und seiner Akustik, vor allem wenn der Saal voll besetzt ist. „Nicht so hallig wie in anderen Kirchen.“ Am zweiten Weihnachtstag wird er hier ein Konzert geben, wie jedes Jahr, seit 16 Jahren. Und mit dem bloßen Klang seiner Akustikgitarre den Raum füllen.

18 Alben hat er inzwischen veröffentlicht

Wäre Snétberger, der im Februar 60 Jahre alt wird, nicht seit 1983 mit seiner Frau Angela verheiratet, könnte man sagen: Die Gitarre ist seine Frau. Nichts hat sein Leben mehr geprägt. Aus schwierigsten Anfängen als Kind einer Roma-Familie in der ungarischen Provinz hat er sich hochgearbeitet zu einem der wichtigsten Jazzgitarristen Europas, der inzwischen 18 Alben veröffentlicht hat. Seine Fangemeinde lebt in vielen Ländern, auch in Berlin, wo Snétberger seit bald 30 Jahren zu Hause ist. 1988, die Mauer stand noch, hat ihn die multikulturelle Atmosphäre West-Berlins so angezogen, dass er übergesiedelt ist.

Zwei oder drei Mal im Jahr tritt er in Berlin auf, im Kammermusiksaal oder eben in der Passionskirche. Am 26. Dezember präsentiert er eigene Kompositionen seines in diesem Jahr erschienenen Albums „In Concert“ (ECM), aufgenommen 2013 bei einem Konzert in Budapest.

Snétberger gründete eine Musikschule für Roma-Kinder

Ein Mann und seine Gitarre: Die Besucher erwartet eine nahezu existenzialistische Situation. In bis zu zehn Minuten langen Stücken, betitelt „Budapest 1–8“, improvisiert Snétberger, variiert den Griff von kernig-hart zu traumverloren und zurück, spinnt Stränge, taucht ab in Erinnerungen, wird zum Geschichtenerzähler am imaginären Lagerfeuer. „Ich weiß am Anfang nie, wie es wird“, erklärt er sein Prinzip des produktiven Loslassens.

„In Concert“ ist seine erste Neuveröffentlichung seit dem Album „Streams“ (2007) mit dem Trompeter Markus Stockhausen. Warum die große Lücke? Snétbergers Augen beginnen zu leuchten. Er war anderweitig eingespannt, auf das Projekt ist er stolz: 2011 gründete er in Felssörs am Nordufer des Plattensees eine internatsähnliche Musikschule überwiegend für Kinder aus Roma-Familien, das Snétberger Music Talent Center. Idyllisch im Tal gelegen, mitten im Wald, ohne Nachbarn, die Ärger machen könnten. Hier lernen 60 Schüler, deren Eltern die Ausbildung nicht bezahlen können, vier Jahre lang ein Instrument. 15 Lehrer unterrichten klassische Musik, Neue Musik, Jazz. Snétberger sucht die Schüler persönlich aus, fährt dafür wochenlang durch Ungarn, Rumänien, die Slowakei. Das kostet Zeit. Die Jugendlichen sollen es leichter haben als er damals.

Als Kind hatte er keine Chance - und schaffte es doch aufs Jazzkonservatorium

Sieben Kinder, davon drei Jungs – und eine Gitarre. Das waren die Ausgangsbedingungen im nordungarischen Salgótarján, als Snétberger dort 1957 zur Welt kam. Die Mutter Romni, der Vater Sinto. Der unterrichtete Gitarre, das begehrte Instrument war in der Familie ständig vergeben. Ferenc hatte keine Chance, er war der Jüngste. Aber er wusste früh: „Ich wollte spielen, nur spielen, nichts anderes.“ Also kämpfte er sich durch, bis zum damals neuen Jazzkonservatorium Béla Bartók in Budapest. Lange sei er auf der Suche nach seinem eigenen Stil gewesen, erzählt er. Ließ sich inspirieren vom Flamenco, der klassischen, spanischen, brasilianischen Gitarrenliteratur, etwa von Baden Powell de Aquino.

Völlig alleine ein Konzert zu bestreiten wie jetzt in der Passionskirche, ist dabei nur die eine, eher untypische Seite von Snétberger, der immer viel mit anderen musiziert hat: mit James Moody oder Bobby McFerrin, im Stendhal-Trio mit László Dés und Kornél Horváth, mit dem Bassisten Arild Andersen und Drummer Paolo Vinaccia für die Ambient-angehauchte CD „Nomad“ (2005). Und mit Markus Stockhausen, Sohn von Karlheinz Stockhausen.

Das Instrument prägt sein Leben. Ferenc Snétberger kämpfte sich hoch, 1988 kam er nach Berlin, er liebt die Stadt.
Das Instrument prägt sein Leben. Ferenc Snétberger kämpfte sich hoch, 1988 kam er nach Berlin, er liebt die Stadt.

© Zsófia Raffay

Drei gemeinsame Alben sind bisher entstanden, etwa „For My People“ (2009), eine Hommage an die musikalischen Traditionen der Roma-Regionen. Mit einer elegant-souveränen Interpretation der fingerbrecherischen Mazurka „Adelita“ von Francisco Tarrega und mit einem dreiteiligen Konzert für Gitarre und Orchester, das auf einer Melodie aufbaut, die Snétberger einst seiner Oma vorsang. Der schlanke Ton von Stockhausens Trompete geht verblüffend gut zusammen mit dem weit intimeren Klangcharakter von Snétbergers Gitarre.

Seinen ungarischen Verdienstorden hat Snetberger zurückgegeben

Geht es den Roma in Ungarn heute besser? „Jedes Kind kennt immer noch Rassismus“, sagt der Musiker, „die Eltern bereiten ihre Kinder darauf vor. Das wird auch so bleiben. Menschen sind so.“ Trotzdem sei manches besser geworden, die Bildung junger Roma wird auf Gymnasien und mit Stipendien stärker gefördert. Ungarn bleibt für ihn eine geliebte, schwierige Heimat. Von Ministerpräsident Viktor Orbán, der die Menschen- und Medienrechte in seinem Land drastisch beschneidet, nahm Snétberger 2014 den Kossuth- Preis entgegen. „Wir haben uns nur kurz unterhalten“, erzählt er, „Orbán ermunterte mich, so weiterzumachen.“ Was Snétberger nicht davon abhielt, im August 2016 den ungarischen Verdienstorden aus dem Jahr 2004 zurückzugeben, wie über 100 andere Kulturschaffende auch. Der Grund: Auch der Publizist Zsolt Bayer, Verfasser hasserfüllter, antisemitischer, minderheitenfeindlicher Kommentare wie „Wer ein Zigeunerkind überfährt, handelt richtig“, erhielt jüngst den Orden. Snétberger teilte Ungarns Präsident János Áder mit, er schäme sich, mit einer solchen Person in einer Reihe zu stehen.

Dennoch verurteilt er die Regierung nicht in Bausch und Bogen, immerhin unterstützt sie seine Schule großzügig. Das ist vor allem dem Bildungs- und Kulturminister Zoltán Balog zu verdanken, von dem Snétberber viel hält. Erst kürzlich, am 14. Dezember, zeichnete das Berliner Mauermuseum am Checkpoint Charlie Balog mit der Rainer-Hildebrandt-Medaille für Menschenrechte aus. Snétberger trug zur Zeremonie das bei, was er am besten kann: Er spielte Gitarre.

Konzert am 26. Dezember, 20 Uhr, Passionskirche Kreuzberg. Infos und Tickets: www.snetberger.de

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