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Kultur: Der Kaiser ist nackt

Entgegen anderslautenden Gerüchten ist der deutsche Film auch dieses Jahr herzlich willkommen in Cannes. Sofern er nur ein bisschen aufs Kleingedruckte in den inoffiziellen Programmrichtlinien schaut.

Entgegen anderslautenden Gerüchten ist der deutsche Film auch dieses Jahr herzlich willkommen in Cannes. Sofern er nur ein bisschen aufs Kleingedruckte in den inoffiziellen Programmrichtlinien schaut. Darin heißt es erstens: Deutsche Regisseure gehen mindestens auf die sechzig zu. Zweitens: Sie gehören zu den Legenden des in Cannes besonders gepflegten Autorenfilms. Drittens: Ihre thematisch möglichst abseitigen Werke spielen tunlichst an exotischen Standorten. Viertens: In ihren Beiträgen wird grundsätzlich nicht deutsch gesprochen.

Auch deutsche Produktionen können sich in Cannes wie stets sehen lassen. Hierbei gilt: Eine Chance haben nur Koproduktionen - je mehr Länder, desto glamouröser. So gesehen, ist Deutschland im Wettbewerb gleich viermal dabei. Deutsch also der neue Sokurow (mit Russland produziert), deutscher die neuen Filme von Ken Loach (mit England und Spanien) und Aki Kaurismäki (mit Finnland und Frankreich), am deutschesten der neue Polanski (mit Frankreich, England und Polen).

Warum also klagen deutsche Filmwirtschaftler alle Jahre wieder so bitterlich, Cannes würde sie verschmähen? Schließlich sind etwa Wim Wenders, jüngster deutscher Wettbewerbsveteran (Großer Preis der Jury 1993 für "In weiter Ferne, so nah"), und Werner Herzog in der Nebenreihe "Un certain regard" mit kleinen, gefällig gemachten Beiträgen im Omnibusfilm "Ten Minutes Older" vertreten. In diesem Werk, das Kurzfilme von sieben Regisseuren versammelt, lädt Wenders zu einer leicht psychedelisch geratenden Autofahrt durch die Rocky Mountains ein, Herzog lässt sich unter anderem mit den sexuellen Erinnerungen zweier brasilianischer Reservats-Indianer hören. Und der von konzentrationsschwachen Zuschauern gefürchtete Werner Schroeter zeigt in der "Quinzaine des réalisateurs" ein Zweistunden-Opus namens "Deux", das das dunkle, aber tiefe Ausdrucksbedürfnis dieses Autorenfilmers in noch dunklere Tiefen treibt.

Schwer verständlich, dass angesichts solch geballter Kreativkraft auch Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, für ein paar Tage zu Gast im sonnigen Cannes, ins Nebelhorn stößt und die deutsche Präsenz an der Croisette als "nicht ganz zufriedenstellend" bezeichnet, zumindest nicht "im engeren Sinne". Immerhin würdigt er auf einer Pressekonferenz, sich dabei der unerschöpflich sprudelnden Pressemitteilungen der Export-Union des Deutschen Films bedienend, die hübsche Präsenz deutscher Filme auf so mancherlei anderen Festivals dieser Welt. Heißt das: Der Kaiser ist nackt, denn er hat nichts mitzuteilen? Nicht doch: Der Kulturminister bringt zumindest keine schlechte Nachrichten mit und ist wie immer gut angezogen.

Im Ernst, der deutsche Film und sein oberster Repräsentant fordern in Cannes den Spott geradezu heraus. Schon hat Festival-Präsident Gilles Jacob gegenüber der Lokalpresse in Sachen deutscher Film gönnerhaft verlauten lassen, man werde den nächsten Murnau oder Fassbinder sicher nicht übersehen. Aber wen und was hätten die Macher von Cannes denn mit einer Einladung in den Wettbewerb adeln sollen? Die vorzeigbarsten Filme hat sich unlängst die Berlinale geschnappt, und die deutschen Kinostarts der kommenden Monate versprechen keinen Titel, der für die Königsdisziplin des Weltfilmfestivals in Frage kommen würde. Zumal Cannes, zumindest für die Konkurrenten Frankreichs, im Wettbewerb die eiserne Disziplin des möglichst innovativen Autorenfilms mit weltbedeutendem Thema verlangt - und diese Denksportart ist im deutschen Filmwesen zuletzt einigermaßen aus der Mode gekommen.

Die Scham mag bitter sein, aber die Rache ist süß. Deutschland wird die Franzosen bald dort büßen lassen, wo es wirklich weh tut: im Kino. Gerade melden die Branchenblätter, "Der Schuh des Manitu" sei schon an 13 Länder verkauft und käme demnächst in Russland und Spanien ins Kino. Nur die beiden wichtigsten französischen Verleiher hätten nach der Besichtigung dieses deutschen Hits erst mal abgewinkt. Tja, Pech für sie: Wenn wir heute in Deutschland und morgen in der ganzen Welt zum gemütlichen Abend übergehen, dann gucken die Franzosen mal wieder in die Röhre.

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