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Kultur: Der Kampf geht weiter!

WETTBEWERB Gregory Navas B-Picture „Bordertown“ versteht sich als Pamphlet für die gute Sache

Schon tolldreist. Seit Tagen werden die Gesichter der professionellen Berlinale-Besucher angesichts der dargebotenen Filmkost lang und länger. Seit Tagen mag man auch immer weniger über die Beiträge zum Beispiel des Wettbewerbs sprechen (es sei denn aus Spottlust). Seit Tagen scheint sich das Festival sogar selber über seinen Nimbus als politischstes Großfilmereignis der Welt mit mal staubigen, mal kitschigen, mal staubig-kitschigen Filmen lustig zu machen. Und nun setzt der Chef alles auf eine Karte. Für gestern programmierte er einen brisant aktuellen, radikal aktivistischen, ja interventionistischen Film, gegen den Michael Winterbottoms „The Road to Guantanamo“ letztes Jahr an gleicher Stelle wie ein schon im Andruck vergilbtes Flugblatt wirkt. Nur: Verspielt er damit zugleich seinen Ruf?

„Bordertown“ ist Dieter Kosslicks Herzensangelegenheit. Der Film über die massenhaften Morde an mexikanischen Arbeiterinnnen in der Billiglohn-Fabrikstadt Ciudad Juárez läuft im Wettbewerb und soll folglich mit den derzeit besten Filmen der Welt konkurrieren können. Zudem holt Kosslick einige Mütter ermordeter Mädchen nach Berlin und verschränkt, indem er ihnen höchste Podien- und Medienaufmerksamkeit verschafft, die Restfiktion eines auf wahren Begebenheiten beruhenden Spielfilms energisch mit der Realität.

Sein Festival instrumentalisiert er damit auf beiden Ebenen zur – so pathetisch das auch tönen mag – Weltverbesserungsbühne und geht damit ein hohes Risiko ein. Denn auch der aktuellst politische Film dieser Berlinale ist misslungen – ein Mischmasch aus schnell geschnittenem, musiküberladenem Werbeclip, drehbuchtechnisch hingerotztem Thriller und sentimentaler Telenovela; mithin ein Werk, das auch Filmkritiker mit bescheidenen Ansprüchen kaum noch passabel finden können. Andererseits bringt „Bordertown“ sein Anliegen mit einer Verve rüber, die imponiert. Und dass dieses Anliegen Verve verdient, steht außer Frage.

Seit knapp 15 Jahren, von der Weltöffentlichkeit bislang kaum bemerkt, führt eine Männergesellschaft im Besitz aller staatlichen Apparate in einem rücksichtslos kapitalistisch globalisierten mexikanischen Riesenkaff an der Grenze zu den USA einen mörderischen Krieg gegen Frauen. Ohne dass Polizei und Justiz einschreiten würden, werden Fabrikarbeiterinnen – meist auf dem Heimweg von der Arbeit – vergewaltigt, ermordet, verscharrt. Über 500 Tote und Verschwundene können die Initiativen, die dieses organisierte Verbrechen anprangern, namentlich aufzählen (im Film ist von möglichen 5000 Opfern die Rede). Und nicht nur die lokalen Behörden, sondern auch die mexikanische und die US-amerikanische Regierung haben keinerlei Interesse an der Aufklärung dieses Skandals – schließlich profitieren vom slave trade in den Hunderten von Fabriken,wo Frauen für fünf Dollar am Tag arbeiten, die wirtschaftlich und politisch Mächtigen beider Seiten. Ciudad Juárez ist, diese Schlussfolgerung legt der Film nahe, ein Brennpunkt extremer wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung, kulminierend im Massenmord.

„Bordertown“ versteht sich als Pamphlet und will auch gar nichts anderes sein. Lauren (Jennifer Lopez), Reporterin aus Chicago, klärt investigativ und unter Lebensgefahr die Hintergründe einer Vergewaltigung auf, bei der die 16-jährige Eva (Maya Zapata) nur knapp dem Tod entrinnt.Unterstützt wird Lauren von dem selber schwer bedrängten, aufrechten Zeitungsmann Diaz (Antonio Banderas). Der Busfahrer, der Eva vergewaltigt hat, wird festgenommen und später auf freien Fuß gesetzt, der Firmenboss, dem er das Mädchen zuspielte, bleibt ungeschoren. Lauren schreibt die Enthüllungsstory, ihr Chef (Martin Sheen) lobt den Artikel, veröffentlicht ihn aber, politischem Druck folgend, nicht. Diaz wird ermordet, Eva überlebt getarnt mit neuer Identität, Lauren verzichtet auf den Auslandskorrespondenten-Köder und übernimmt lieber Diaz’ Kamikaze-Job in Ciudad Juárez. Finale Message: Der Kampf geht weiter!

Natürlich ist vieles Holzschnitt und Bullshit in „Bordertown“. Aber der 57-jährige US-Regisseur Gregory Nava, international bislang nur durch das Jennifer-Lopez-Starvehikel „Selena“ (1997) aufgefallen, nimmt alles, was er kriegen kann, um sein Thema an ein möglichst großes Publikum zu bringen. Dass Jennifer Lopez viel zu schön ist, um in diesem Kontext wahr zu sein: geschenkt. Dass Antonio Banderas als wackerer Wahrheitssucher nur mäßig erfolgreich den Beau verbirgt: ebenfalls. Dass schließlich der Frauenschwarm Juanes seinen Hit „La camisa negra“ höchstpersönlich zum Besten gibt: ein weiteres Symptom für das Bemühen, alle, aber auch wirklich alle in diesen Film mitzunehmen. Nur: Was ist da Böses dran – sagen wir, außerhalb eines ganz auf die Fortentwicklung edler Filmkunst bedachten Festivals?

Manches allerdings deutet darauf hin, dass die Rechnung nach keiner Seite aufgeht, jedenfalls für den Film selber. Ein Festival wie die Berlinale bekommt gefährliche Schlagseite, wenn es sich ohne Ansehen der Qualität der ausgewählten Werke vor allem in den Dienst der guten Sache stellt (immerhin verzichtet „Bordertown“ auf jene schmierige Sexploitation, die das Völkermord-Opus der Gebrüder Taviani endgültig ruinierte). Ein Filmstart mit 30 Kopien nächste Woche in Deutschland wiederum spricht nicht gerade für die Zuversicht des Verleihs, J-Lo, Banderas und Juanes als Themen-Vehikel erfolgreich zu positionieren. Und in den beiden wichtigsten Ländern ist ein der Besetzung und dem Thema angemessener Kinostart überhaupt noch nicht auszumachen. Aber was, wenn nicht mal die Hispanics in den USA und die kleinen Leute in Mexiko dieses so honorig gemeinte B-Picture zu sehen bekommen?

Heute 15 und 23.30 Uhr, Sonntag 18.30 Uhr (alle Urania). Siehe auch Reportage auf Seite 3

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