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Schachtelhalm. Das schwer angesagte Wohnhochhaus „56 Leonard Street“ des Schweizer Architekturbüros Herzog & de Meuron in New York.

© Alamy Stock Photo

Der Kampf um bezahlbaren Wohnraum: Hochhäuser als Lösung?

Die soziale Frage ist in die Großstadt zurückgekehrt - als Kampf um bezahlbaren Wohnraum. Ist der Bau von Hochhäusern eine sinnvolle Strategie, um den Druck auf dem Wohnungsmarkt abzumildern?

Die Angst geht um in Berlin. Die Angst, keine Wohnung mehr zu finden, nicht mehr in der Stadt wohnen zu können – kurz: abgehängt zu werden.

In Berlin ist die latente Angst sichtbar geworden an der Aufregung um den Beinahe-Staatssekretär und selbsternannten Robin Hood des Wohnungsmarktes, Andrej Holm. Er hatte angekündigt oder doch glauben gemacht, den Immobilienhaien das Handwerk zu legen und bezahlbaren Wohnraum für diejenigen zu schaffen, die sich das Wohnen in der Stadt nicht oder nicht mehr leisten können.

Jedenfalls ist offenkundig, dass die Zahl der Wohnungen in Berlin mit der Nachfrage nicht mithält. Das liegt nicht nur an der beständigen Zunahme der Einwohnerzahl. In ganz Deutschland ist die Zahl der Wohnungen zwischen 2000 und 2014 um 7,9 Prozent gestiegen, deren durchschnittliche Größe dabei von 84,6 auf 91,4 Quadratmeter. Das bedeutet eine Zunahme der Wohnfläche pro Kopf auf mittlerweile 46,5 Quadratmeter.

Da kommt nun das Hochhaus ins Spiel, das Hochhaus als Wohnform. Es ist dies ein Thema nicht nur für Berlin und andere, begehrte Großstädte wie Frankfurt oder München. Die Zersiedelung der Landschaft hat in Flächenländern wie Hessen oder Baden-Württemberg ein solches Ausmaß erreicht, dass weitere Einfamilienhausansammlungen immer weniger auf die sprichwörtliche grüne Wiese gestellt werden können. Der Nachfragedruck auf die Ballungsräume wird immer stärker werden, zumal Grundstücke kostbar sind und der Flächenverbrauch eines Hochhauses jedenfalls ohne die hierzulande geforderten Abstandsflächen günstig ausfällt. Allerdings stellt sich die Frage, ob etwa die Zunahme der Zahl von Singlehaushalten mit ihrem größeren Pro- Kopf-Bedarf an Wohnraum unvermindert weitergehen kann.

Für die Berliner Innenstadt kaum geeignet

Da machen sich die 2700 Hochhauswohnungen, die laut einschlägigen Immobilienberatern in Berlin bis 2018 auf den Markt kommen sollen, als sehr bescheidene Größe aus. Im kleineren Frankfurt, als Bankenmetropole dem Hochhausbau aufgeschlossen, sollen es immerhin 2400 Wohnungen werden. Die Befürchtungen, die der Begriff „Wohnhochhaus“ bei konservativen Stadtbildbewahrern und linken Gentrifizierungsgegnern gleichermaßen auslöst, sind jedoch grotesk übertrieben. Der geplante Wohnturm am Alex nach Entwurf von Frank Gehry macht noch keine Hochhausstadt. Und die Absicht, den berüchtigten „Steglitzer Kreisel“ mit 260 Apartments zu reanimieren, entspringt keiner vorausschauenden Bauplanung, sondern ist eher eine, wenn auch sympathische, Verlegenheitslösung.

Berlin als weit in die Fläche sich dehnende Stadt, durchsetzt mit Parks und sogar Wäldern und Seen, ist wahrlich nicht das gegebene Experimentierfeld für Wohnen im Turm. Hochhäuser werden in der Hauptstadt auch künftig eher auf zahlungskräftige Nachfrage hin entstehen, nicht als Problemlöser im Konkurrenzkampf ums Wohnen in der Innenstadt.

In New York hat der Hochhaustrend seine extremste Form gefunden

Das ist in den weitaus dichter als Berlin besiedelten Metropolen der westlichen Hemisphäre anders. Hochhäuser entstehen gleichermaßen für Reiche und Nicht-so-Reiche. Allerdings ist das Super-Hochhaus derzeit ein Modetrend für die happy few. Es geht um sozialen Status. Wer oben wohnt, steht symbolisch an der Spitze der Gesellschaftspyramide.

So jedenfalls in New York. Dort hat der Hochhaustrend seine extreme Form gefunden, im Rennen um den höchsten „Bleistift-Wolkenkratzer“. Den Rekord hält derzeit ein Vierkantturm des Architekten Rafael Vinoly in Midtown mit 426 Metern Höhe. 88 Obergeschosse bergen lediglich 104 Apartments – bei Gesamtkosten des Wolkenkratzers von 880 Millionen Dollar lässt sich leicht errechnen, dass jede Wohnung mit 8,5 Millionen Dollar zu Buche schlägt. Tatsächlich werden die obersten, mehrgeschossigen Condominiums für bis zu 95 Millionen Dollar angeboten.

Auch der Wohnturm der Erfolgsschweizer Herzog & de Meuron, demonstrativ nach seiner Postadresse „56 Leonard Street“ benannt und ebenso viele Stockwerke hoch wie seine Hausnummer, ist aufgrund der unangefochtenen Höhendominanz im fashionablen Viertel TriBeCa ein gefragtes Luxusobjekt.

Es gibt auch sozialverträgliche Projekte

Die Frage nach der Sozialverträglichkeit solch’ spekulativer Bauvorhaben erübrigt sich. New York entwickelt allerdings auch Lösungen mit Vorbildcharakter. So ist in Brooklyn, dem überwiegend flach bebauten Riesenbezirk im Osten, unlängst ein 32-stöckiger Wohnturm fertiggestellt worden, der aus vorfabrizierten Elementen besteht und den Rekord als höchstes derartiges Gebäude beansprucht: kurz gesagt, ein Plattenbau. Das 109 Meter hohe – und insofern für Berlin mit seinem begrenzten Höhenehrgeiz hochinteressante! – Gebäude zählt 353 unterschiedliche Wohnungen.

Der Clou aber ist, dass es sich um Mietwohnungen handelt. Dabei mögen die zu Marktpreisen zwischen 2 400 und 4 700 Dollar angebotenen Wohnungen nicht gerade als Schnäppchen erscheinen – die vom Stadtbezirk vorgeschrieben Sozialwohnungen mit Raten zwischen 600 (!) und 3 000 Dollar sind es für New Yorker Verhältnisse allerdings. Nicht weniger als 84 000 Bewerbungen gingen für die 181 ausgewiesenen affordable units ein. Insgesamt sollen im Bauprojekt „Pacific Park“ 6 340 Wohnungen entstehen.

Die vertikale Favela in Caracas

Das Wohnen im Hochhaus kann im Ausnahmefall sogar die Form einer vertikalen Favela annehmen: Berühmt wurde der „Torre de David“ in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Die 45-stöckige Bauruine, vom Investor im Rohbauzustand aufgegeben, wurde nach und nach von rund 750 Familien mit 2500 Angehörigen „hausbesetzt“. Es entwickelte sich eine eigene Infrastruktur – von deren mafiöser Ausformung die hellauf begeisterte Städtebau-Linke freilich nichts wissen wollte. Jedenfalls erfuhr der Kommunalwohnturm internationale Aufmerksamkeit, 2012 gekrönt durch die Verleihung des Goldenen Löwen der Architektur-Biennale von Venedig. Zwei Jahre später wurde der Turm zwangsgeräumt: „Obwohl die meisten Bewohner sich der Rhetorik des vorherrschenden Chavismus bedienten“, schrieb Stadtsoziologe und Mitorganisator Alfredo Brillembourg bedauernd, „gelang es den Anführern der neuen Gemeinde nicht, ein dauerhaftes Bleiberecht zu erwirken“.

Zwischen den Extremen des Luxuswohnturms und der Vertikal-Favela gibt es ein weites Feld für Wohnen im Hochhaus. Mit scheuer Distanz blickt man auf China, wo in den rasant wachsenden und vielfach auf zehn und mehr Millionen Einwohner angeschwollenen Städten 30-geschossige Wohntürme hochgezogen werden, jeweils dutzendfach nach gleichem Bauplan. 30 Etagen – so viel geben die Bauvorschriften her; darüber wird’s deutlich teurer. Die in die Städte gespülten chinesischen Dorfbewohner beklagen sich nicht, im Hochhaus genormten Wohnstandard zu finden. Hierzulande interpretiert man das wahrlich massenhafte Wohnen gern damit, es sei dies Ausdruck tradierten asiatischen Kollektivdenkens.

Erinnern an die Berliner Bautraditionen

Dabei kann sich gerade Berlin auf seine Tradition besinnen: Hier wurde schließlich mit dem Hansaviertel von 1957 ein bleibender Maßstab in städtebaulicher, architektonischer und sozialer Hinsicht gesetzt. Sich daran zu orientieren, wäre eine lohnendere Aufgabe für eine künftige Wohnungspolitik als das absehbar erfolglose Wüten gegen Immobilienfirmen und Bauspekulation. Für das Hansaviertel – einerlei, wie man seine politische Aufladung in der Zeit des Kalten Krieges bewertet – wurden die besten Architekten ihrer Zeit verpflichtet. Die Wohnzufriedenheit, diese Messgröße sollten Verächter aufgelockerter Bebauung beachten, ist enorm. Wer im Hansaviertel eine Wohnung ergattert hat, der bleibt.

Auch spätere Projekte, mit zweifellos schlichterem Anspruch und auf bauwirtschaftliche Effizienz getrimmt, verdienen Aufmerksamkeit. Die „Gropiusstadt“ der sechziger Jahre wartet mit ihrem 31-stöckigen Wohnturm vom Zeichenbrett des namensgebenden Architekten als optischem Mittelpunkt auf. Ein Jahrzehnt später waren es Märkisches Viertel im Westen und Marzahn/Hellersdorf im Osten der Stadt, die das Vokabular von Punkt- und Zeilenbau durchspielten. Es gibt dort zwar kein Wohnen im Hochhaus, sondern im gleichförmig gestapelten Geschosswohnungsbau – aber für eine breite Bevölkerung, mit bezahlbaren Mieten und zeitgemäßen Ausstattungsstandards für alle.

Diese Errungenschaften einer in ihren Grundmotiven sozialen Politik im großen Maßstab gilt es zu erinnern – bei aller Kritik an Fehlern und Auswüchsen –, wenn in Berlin wieder Wohnungspolitik für die ganze Stadt betrieben werden soll. Damit nicht ganze Berufs- und Bevölkerungsgruppen abgehängt werden.

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