zum Hauptinhalt

Kultur: Der Kampf um Platz Eins

Das Berlinale-Programm steht – obwohl Cannes dem Festival in letzter Minute drei Filme abjagte

Die alljährliche Pressekonferenz, die die Berlinale eine gute Woche vor ihrem Start veranstaltet, dient bekanntlich nicht in erster Linie dem Informationstransport. Eher funktioniert sie als Barometer. Zu Moritz de Hadelns späten Chef-Zeiten noch zuverlässig bleiern, geriet sie in Dieter Kosslicks erstem Jahr fast kinderladenhaft fröhlich und chaotisch, war im zweiten noch immer amüsant – besonders während einer ebenso kunstvollen wie zeitraubenden Eloge des Chefs auf die zahlreichen Sponsoren des Festivals. Und diesmal? Nun, insgesamt eher nervös. Erst bewusst zügig, dann unbewusst zerfasernd. Also: allenfalls angestrengt gut gelaunt. Oder in Barometersprache ausgedrückt: veränderlich.

Irgendwie zerzaust wie nach einem Sturm saßen sie da, die mittlerweile zehn wichtigen Protagonisten des Ereignisses, blinzelten unfroh herum im überfüllten Saal des Bundespresseamts, den der dienstliche Illuminator offenbar mit subtilem Sinn für Götterdämmerungen in blässlich fahlgraues Licht getaucht hatte. Aber am Licht lag’s nicht allein. Erst ganz zum Schluss, als der zunächst forsch angekündigte Halbstünder unmerklich auf mittagfüllende Spielfilmlänge angewachsen war, rückte Kosslick mit der Ursache seines Missvergnügens heraus: In letzter Minute hat der Hauptkonkurrent, das Festival von Cannes, der Berlinale drei Wettbewerbsfilme weggeschnappt.

Kosslick wäre nicht Kosslick, wenn er diesen Ärger nicht mit gewohnter Offenheit benennen würde. Also sagte er, angesprochen auf den Verlust von Walter Salles’ bereits seit Monaten gebuchtem Che-Guevara-Biopic „The Motorcycle Diaries“, es sei ja eine „sportliche Sache“ unter Festivals, dass man sich Filme „abjagt“ – aber wenn man bereits mit dem Drucken der Programme begonnen habe? Dann koste das viel Geld „und Nachtschlaf“. Um sogleich hochzitabel anzufügen: „Natürlich haben wir nach wie vor sehr gute Beziehungen zu den Franzosen.“

Schon möglich aber, dass die Franzosen nicht mehr gar so gute Beziehungen zu Berlin haben – und deshalb dieses Jahr mit besonders harten Bandagen kämpfen. Wurde doch nach dem katastrophalen Auftritt des großen alten Cannes unter dem großen alten Gilles Jacob unter internationalen Branchenprofis immer häufiger Berlin auch als das künstlerisch bedeutendere Festival genannt. Und als das organisatorisch zugleich Zuverlässigste und Innovativste. Also, ihr Verdrossenen auf dem grauen Podium: Lasst euch keine grauen Haare wachsen, es sei denn, ihr habt sie biologisch-dynamisch schon!

Das Innovative? Der Talent Campus zum Beispiel, dies Jahr noch attraktiver – mit knapp 500 Filmnachwuchsleuten aus über 80 Ländern. Oder die Reihe „14 plus“, mit der die Lücke zwischen Kinderfilmfest und „großer“ Berlinale endlich geschlossen wird. Und ein durchaus politischer Schwerpunkt Afrika und Südamerika, der sich durch alle Sektionen zieht – vom Wettbewerb über Forum, Panorama und Kinderfilmfest bis zur ebenso jungen wie profilierten Reihe „Perspektive Deutsches Kino“ (die unter anderem den Film einer Nigerianerin zeigt, die an der Berliner DFFB studierte). Neu auch: die Spielorte Filmpalast am Ku’damm und das wieder eröffnete Zeughaus-Kino in Mitte.

So gesehen, dürfte dem mit Dieter Kosslick eingezogenen rheinisch-neuberlinischen Berlinale-Groove bis zur Premiere am 5. Februar mit Anthony Minghellas „Cold Mountain“ nichts mehr entgegenstehen. Apropos Premiere: Auch das Verb „premieren“, das Panorama-Chef Wieland Speck zweimal im Munde führte, ist eine Innovation – wenn auch eine der eigentümlicheren Art. Wohlgemerkt: nicht „prämieren“, sondern „premieren“, wie der Plural des Substantivs auszusprechen. Prämienwürdig?

Egal. Irgendwann mitten im bemüht zügigen allseitigen Herunterbeten der Programmschwerpunkte fand Kosslick zu seinem Witz zurück. Und der ist gar nicht mal so unwichtig. In das sachte einsetzende Konzert mannigfacher Handy-Klingeltöne sagte er: „Vergessen Sie nicht, beim Rausgehen das Handy wieder einzuschalten.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false