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Kultur: Der Kapitalismus ist tot – er lebe? Eine Diskussion im Berliner Brecht-Haus

In einem waren sie sich einig: „Kapitalismus“, das sei ein fremd gewordener Begriff. Doch wie die Diskussion um den „Kapitalismus als Gegenstand der Literatur und Künste“ begann, da wurde recht bald deutlich, welch unterschiedliche Positionen auf dem Podium des Literaturforums im Brecht-Haus versammelt waren.

In einem waren sie sich einig: „Kapitalismus“, das sei ein fremd gewordener Begriff. Doch wie die Diskussion um den „Kapitalismus als Gegenstand der Literatur und Künste“ begann, da wurde recht bald deutlich, welch unterschiedliche Positionen auf dem Podium des Literaturforums im Brecht-Haus versammelt waren. Nicht, dass diese im Verlauf des Abends immer deutlich geworden wären. In jedem Fall aber hat das Podiumsgespräch den Rahmen, in den es gestellt war – die erste bundesweite Graduiertenkonferenz als Kooperation von Literaturforum und Humboldt-Universität Berlin zum Thema „Imaginationen des Kapitalismus“ – vom Anfang des 20. Jahrhunderts in die Gegenwart katapultiert. Vom „selbstausbeutenden Kulturarbeiter“ bis zur flexibilisierten „Ich-AG-Gesellschaft“ fielen alle Begriffe, mit denen man heute das verhandelt, was früher Kapitalismus hieß.

Und weil in der Analyse eine gewisse Ratlosigkeit herrscht, ist es gar nicht wenig, wenn man am Ende sagen kann: Es wurde einiges ventiliert. Beisammen saßen die Autoren Thomas Meinecke, Julia Schoch und Jana Simon sowie die Kuratorin des Theaters Hebbel am Ufer, Carena Schlewitt, moderiert von Jürgen Kuttner. Für die einen („Ost“) ist der Begriff „Kapitalismus“ mit der Staatsbürgerkunde verbunden, für den anderen („West“) hingegen, Thomas Meinecke, mit jener Zeit, als sein Gegenstück noch eine „verheißungsvolle Dimension“ besaß.

Was aber heißt Kapitalismus heute: ohne seine Gegenseite, in der „postkommunistischen Lage“? „Vor drei Jahren hätte ich noch gesagt: Das System ist erschöpft“. Heute sagt Julia Schoch nicht mehr System, sondern nurmehr „unsere, diese Welt“: „Drogen, Liebe, Kunst“ seien die einzigen Mittel, um den „Zugriff von außen“ gering zu halten. Thomas Meinecke setzt „das Eigene als Konstruktion“ dagegen. Die Künstler als „selbstausbeutende Kulturarbeiter“ kommen ins Spiel. „Kreativproletariat“, sagt Meinecke, und „Podiumsproletariat“, macht Kuttner als hübscheste Wortperle des Abends später daraus. Man steht nicht außerhalb des „Systems“, sondern ist mit ihm verwoben: „Da wir uns selbst ausbeuten, wissen wir nicht mehr, wen wir stürzen sollen.“

Weil die Ausbeutung auf recht hohem Niveau stattfindet, wird der Luxusdiskussionsverdacht ausgesprochen: „ein Hauch von Coffeetable“ – oder einfach notwendige Analyse? „Kapitalismus, das klingt so nach 70er Jahre“, sagt Jana Simon irgendwann. Was in der Tat aus der Zeit gefallen scheint, ist das grundsätzliche Erzürntsein, das mit seiner Kritik immer verbunden war. Und dann die Annahme, der Kapitalismus sei eine Struktur, in der man umherspazieren könne, ohne selbst davon berührt zu sein. Ob Kapitalismus und Kunst ein Gegensatzpaar sein müssten, wird aus dem Publikum gefragt. Können sie noch ein Gegensatz sein, wäre auch eine Frage. Gern hätte sie am Anfang stehen dürfen.

Katrin Kruse

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