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Kultur: Der Katzen-Casanova

Sanfter Rebell, ironische Diva: Der Liedermacher Jens Friebe und sein neues Album „In Hypnose“

Seine ersten CDs soll er selbst gebrannt, eigenhändig mit kleinen Erdmännchen bemalt und an die Freundinnen in Berlin verschenkt haben. Man kann sich gut vorstellen, wie er seine Lieder in WG-Küchen vorsang. Wie es den Spaghetti auf den Ikea-Tellern kalt wird, während junge Erstsemester den blassen Jüngling mit dem Fransenpony anhimmeln. Wie seine Sinnsprüche al dente durch Altbauwohnungen schwirren und die Mädchen dann später das Friebefoto neben das Sitzpinkeln-Schild und das Matisse-Poster ins Gemeinschaftsbad hängen und eine Duftschale mit Rosenöl darunter stellen: der Friebe-Faktor eben.

Jens Friebe ist Musiker, genauer: Gitarrist und Sänger. Als seine erste CD „Vorher Nachher Bilder“ erschien, wurde er noch als Geheimtipp in den Berliner Clubs gehandelt. Das zweite Album „In Hypnose“, das heute erscheint, ist bereits die Platte eines nationalen Stars der deutschen Popmusik. Und nicht nur das. Glaubt man Friebe-Fans, so ist dessen Stimme die eines „Katzen-Casanovas“. Angeblich treibt er „MTV-Mädchen in den Orgasmus“ und bringt heterosexuelle Männer zum Weinen. Und eine Bremer Journalistin schrieb sich über Friebe in Ekstase: Dessen zur knallroten Schnute geschminkte Lippen seien eine „postfeministische Vision vom Geschlechterfrieden“.

Jens Friebe, der angebliche Postfeminist, sitzt im Café „Schönbrunn“ im Volkspark Friedrichshain und sieht aus wie das Gegenteil eines Popstars: Musikstudioblässe statt Sonnenbankteint, zerzauste Spätaufsteherfrisur. Über die Friebe-Klischees aus den Zeitungen bemüht er sich über seine Cranberry-Schorle säuerlich hinwegzulächeln, was etwas angestrengt wirkt. Seiner Plattenfirma zufolge tauchte der Star im Jahr 2004 „aus dem Nichts auf“. Das Nichts, in das Friebe 1975 geboren wurde, heißt Lüdenscheid, ein sauerländisches Kaff in einer regnerischen Gegend, die keine Lokalpatrioten hervorbringt, wie er mit zerknirschtem Friebelächeln trocken bemerkt. Deshalb ging er in Deutschlands ehemalige Pop-Hauptstadt Köln und spielte in einer Band namens „Parka“.

Diese Episode wischt er heute aber ebenso beiseite wie Köln: „Eine zu enge Stadt für Sänger und Musiker.“ Friebe trieb sich in Hamburg herum und ging nach Berlin. Als er als Vorband des inzwischen aufgelösten Popchors spielte, wurde er entdeckt. Von Alfred Hilsberg, als Chef des Labels ZickZack immerhin Mentor von Bands wie Blumfeld und den Neubauten.

Friebes Musik ist eine Ausnahme. Die alles vereinnahmende Grunge-Bewegung ging an ihm vorüber, für Elektropop war er noch alt genug, und dass er Deutsch- und Spaßpunkplatten im Regal stehen hat, hört man auch seinen Liedern an. Gitarre und Stimme, ein bisschen Elektronik, aber davon nicht zu viel. Friebe ist eine Art Einmann-Band, auch wenn zu seinen Begleitmusikern die Bassistin Juli von der Band Britta gehört. Im Zentrum der Friebe-Musik steht Jens Friebe selbst.

In dem wohl gelungensten Stück der neuen Platte gibt sich der Sänger einem egozentrischen Traum hin, den zuletzt Rio Reiser träumte. „Ich wär’ wohl euer Präsident / und ihr findet mich o.k. / ich fahr an euch vorbei und wink / in einem Cabriolet.“ Dann lösen sich die Schüsse, das Stück heißt „Kennedy“. Ein Krachen braucht man nicht zu erwarten. Statt Schlagzeugwirbel oder Salven aus der E-Gitarre, setzt ein wimmernder Backgroundchor ein.

Viele Deutschpop-Stücke leiden darunter, dass die Texte nichts zu sagen haben. Die Band 2Raumwohnung etwa wirkte bei ihren Gehversuchen auf elektronischem Gelände so, als würde sie sich in den breiten Flächen der Musik verlaufen. Schlimmer noch die angeblich politischen Bands, die außer einem rein ästhetischen Gestus des Dagegen keinerlei Anspruch formulieren. Friebe ist anders.

Vorsichtig setzt er seine Worte in überraschenden Kombinationen: Da reimt sich auch schon mal Meer auf Schwarz- Weiß-Fernseher, aber das ist erstens Ironie und zweitens egal. „Ich bin nicht ironisch“, nuschelt Friebe ironisch. Zumindest bei manchen Stücken merkt man, dass es hier einer bitter ernst meint. Die Vegetarier-Hymne „Theke mit den Toten“ ist ein Bekenntnis gegen die Fleischeslust. „Es gibt Öl, es gibt Mehl, es gibt Brot und es gibt Wein, doch an der Theke mit den Toten kaufst du ein“, heißt es da. Wenn man das Lied über das Schlachthaus als blutiges Verlies gehört hat, vergeht einem der Appetit auf ein Schnitzel.

Hochmoralisch auch das Lied „Messer von hinten“, das sich an die Spaßgesellschaft wendet, die „Mountainbikes und Snowboards leiht und damit Berge schändet“. Das ist zwar auch erst mal ein Dagegen, aber auch zur Frage nach dem Wofür äußert sich der Texter: „Ich hab jede Menge Ziele, ich verrat sie euch vielleicht bloß erst hinterher.“ Dazu dudelt mal ein minimalistischer Rhythmus, der mehr nach C-64 klingt als nach Drumcomputer, dann setzen kräftige Gitarren ein, als würde Reinhard Mey jetzt in Britpop machen. Der Vergleich hinkt, und Friebe würde ihn nicht gerne hören, aber auf seiner neuen Platte ist er den Liedermachern sehr viel näher als den Trainingsjackenbands der Elektro- und Gitarrenszene.

Sogar ein englisches Stück ist dabei: „Roadmovie in Berlin“. Das Intro lässt sich minutenlang Zeit. Zuerst hört man ein sanftes Rauschen, dann nach zwei Minuten und 19 Sekunden einen Leierkastenmann, Schritte, Motorengebrumm, eine Hupe. Geräusche, die hereinwehen wie durchs offene Fenster. Russische Wortfetzen, ein Martinshorn. Erst nach fünf Minuten und acht Sekunden hämmert ein Klavier eine Melodie, die irgendwo zwischen Barjazz und Rummelplatz schwebt. Ein Witz? Eher eine Hommage an Berlin, die Stadt, die endlich groß genug ist für Jens Friebe, den stillen Star. Unter den derzeit gehypten Krachrockern, die wie schlechte Verschnitte klingen, ist er eine Ausnahmeerscheinung – und seine Musik genau das Richtige für alle, die sich für Blumfeld zu alt und für Franz Josef Degenhardt zu jung fühlen. Wie singt Friebe? „Ihr müsst mich feiern wie ich fall / wie die Schönste auf dem Abschlussball.“ Manchmal ist er auch eine Diva.

Jens Friebe: In Hypnose (Labels/EMI)

Joachim Otte

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