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Kultur: Der Klangpoet

Peter Webers erste Romane wurden gefeiert. Nun erobert der Schweizer Autor die elektronische Musik

Als die Berliner Mauer fiel, saß Peter Weber am Klavier. Ganze 900 Kilometer entfernt vom Geschehen, in Zürich. Auf das Klavier hatte er eine mechanische Schreibmaschine gestellt. Seine Hände lagen mal auf der einen, mal auf der anderen Tastatur. Nicht, dass er vorhatte, ein Kunstlied oder ein Opernlibretto zu schreiben. Ihm ging es um mehr: Peter Weber war auf der Suche nach einer neuen Sprache.

Damals war der angehende Musiker und Schriftsteller 21 Jahre jung und spielte in mehreren Zürcher Gruppen Klavier – freie Improvisation, Avantgarde, sehr ernste Musik. Und er war dabei, sein Romandebüt zu schreiben. Hundert Seiten eines ersten Manuskriptes hatte er bereits in den Papierkorb geworfen. Zu sprechblasenartig fand er seine eigene Sprache, zu uneigentlich. Deshalb die Schreibmaschine auf dem Klavier. Er wollte die deutsche Sprache in ihre kleinsten Klangzellen aufteilen, und sie dann neu zusammenfügen zu Wortbildern, gewonnen aus unverbrauchten Klängen. „Der Wettermacher“ hieß sein erster Roman bei Suhrkamp – wo der Autor seitdem veröffentlicht. Verleger Siegfried Unseld erklärte Weber sogleich zu einem Hoffnungsträger der jungen deutschsprachigen Literatur – lange bevor der Hype um Popliteratur und Fräuleinwunder neue Namen am Fließband produzierte.

Rückblickend sagt Weber: „Die späten Achtziger waren die Zeit, als das Deutsche in höchstem Maße ideologisiert war. Ich habe erst später erfahren, wie unterschiedlich in diesem geteilten Deutschland die Begriffe konnotiert waren. Für mich war das alles nichts sagend. Und Dinge, die mich selber bewegt haben, waren mit dieser Sprache nicht zu beschreiben.“ Dieser Befreiungsschlag gegen die verkrustete Sprachkultur des Kalten Krieges war für Weber eine kleine ästhetische Privatrevolution.

Die Menschheit auf der Haut

Mittlerweile sind gut zehn Jahre seit dem Erscheinen des ersten Romans vergangen, und Weber forscht weiter an der Sprache und ihrem Klang. Jetzt reist der 36-jährige Schweizer durch den deutschsprachigen Raum, um seinen dritten Roman „Bahnhofsprosa“ bekannt zu machen. Es ist die wortgewaltige Schöpfungsgeschichte eines Ich-Erzählers, der sein Leben auf einem Hauptbahnhof schildert. Und was für ein Bahnhof das ist: Da finden die Weltmeisterschaften der Zeitspiele statt, werden auf Mittelwellen Wale durchgeschwemmt, gibt es mehrere Orgeln, Türme, ja ganze Städte. Ein Roman, in dem die Globalisierung zur Erweiterung der Sinne führt, in dem, mit den Worten Marshall McLuhans, „die ganze Menschheit zu unserer Haut wird“. Als der Roman im letzten Frühjahr erschien, sah die Kritik darin ein „mutwilliges Verwirrspiel mit den Substanzen“ („Die Zeit“), und lobte, mit „Bahnhofsprosa“ habe Weber „sein literarisches Begeisterungsprogramm dergestalt radikalisiert, dass er nun gänzlich in die Gefilde der poésie pure eingedrungen ist“ („Frankfurter Rundschau“).

Natürlich hält Weber keine gewöhnlichen Lesungen, um diese wahnwitzigen Sprachgebäude vor seinem Publikum zu errichten. „Alleine auftreten – dazu habe ich immer weniger Lust. Ehrlich gesagt: gar keine“, gesteht er. Stattdessen sitzt er gemeinsam mit dem Musiker Denis Aebli auf der Bühne, umgeben von einem Sammelsurium von Musikinstrumenten: einer Gitarre, einem Sampler, einem Becken, dem seltsam jaulenden Theremin und diversen Maultrommeln. Auf denen erzeugen die beiden monotone Loops. Es gongt, bis einem schummerig wird, dann setzt Weber mit dem Romananfang ein, in deutlich schweizerischem Akzent, schnell sprechend, doch mit ruhiger Stimme: „Ich sitze in der Bahnhofshalle im üppig aufwachsenden Gerede, das zum Gebrabbel wird, die Decke entlangufert“.

Mit den Ohren denken

Der Beat-Poet Allen Ginsberg hatte einst die Länge seiner Zeilen der Länge seines Atems angepasst, um damit das Spiel der Jazzsaxofonisten nachzuahmen. Auch bei Weber ist die Musik die strukturierende Kraft. Allerdings richtet er seinen Atem eher an der Form der Loops aus. Denn als sich die elektronische Musik Anfang der Neunzigerjahre durchsetzte, hatte Weber – nach seinen Klangstudien mit Schreibmaschine und Klavier – sein zweites sprachliches Erweckungserlebnis.

„Der Einbruch der Monotonie“, wie er es nennt, hatte wohl deshalb eine so große Wirkung auf ihn, weil in seinem damaligen Umfeld, der frei improvisierenden Musikszene, jede Art von Wiederholung als reaktionär galt. Also sortierte er seine Sprache noch einmal ganz neu. „Beim Schreiben hörte ich zum ersten Mal bewusst rein repetitive Musik, Progressive Acid, pulsierende Basswiederholungen unter giftig treibenden Obertonschlaufen, körpereigene Musik. Monotonie wirkt auch auf die Sprache ein: Durch die Erstsilbenbetonung birgt das Deutsche Stabreime, tückische rhythmische Energetika.“ Solche Sätze formuliert er im Gespräch, und wenn ihm das passende Wort fehlt, bricht er ab, starrt auf den Boden, zehn oder zwanzig Sekunden lang.

Monotonie darf man nicht mit Einsilbigkeit verwechseln. Es geht ihm um eine einheitliche Stimmungslage – im musikalischen wie emotionalen Sinne. Sie dient als Unterlage für Pirouetten auf den Sinnachsen der Worte, für das, was Weber als „Obertöne“ bezeichnet. Weil diese Töne einen Kontrast der Gleichmäßigkeit brauchen, kommt ihm die Musik Denis Aeblis so gelegen. Aebli spielte schon in den Achtzigerjahren in einem Improvisationstrio mit Weber, bevor er nach Berlin zog und unter anderem mit der Elektropop-Band Quarks auf Tour ging. Viel zu improvisieren gibt es bei Bahnhofsprosa zwar nicht, die Klanggerüste sind relativ festgelegt. Was Weber an seinem Landsmann Aebli schätzt, ist dennoch dessen Gespür für den Moment. „Denis hat einen viel sagenden Ausdruck für seine Art, wie er Rhythmen voraushört“, sagt Weber, „er nennt es: Ziehlohr werfen“.

„Ziehlohr werfen“ könnte freilich auch von Weber selbst stammen. Wenn sein Erzähler-Ich ein einziges Wahrnehmungsorgan ist, dann ist das Ohr dessen Gehirn. „Der ganze Mensch wohnt im Ohr, alle Körperteile, selbst die inneren Organe, sind in der Ohrmuschel verzeichnet“, heißt es an einer Stelle des Romans. Um in diese Ohrwelt zu passen, wollen Webers Texte so gerne mehr sein als Buchstabenreihen: nämlich Klang. Aber sie können es nicht. Sie dürfen es nicht. Es wäre das Ende des Schriftstellers.

Peter Weber und Denis Aebli lesen und spielen Bahnhofsprosa am 24.1. um 21 Uhr im Roten Salon der Volksbühne (Mitte) .

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